Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept
der Station winkt die eilige Dr. Seidler an Evelyns Tresen schon mit einer Akte nach mir. »Sie sind schon wieder so erschreckend unterbeschäftigt«, sagt sie dazu – und ist, wie immer, davongeklappert, bevor ich »Aber sonst geht’s gut?!« antworten kann.
Im Aufnahmeraum lerne ich Frau Fahn kennen. 46 Jahre alt, Verdacht auf einen Ovarialtumor. Eierstockkrebs.
Frau Fahn ist sehr hübsch und wirkt viel jünger, ihre Figur ist gestählt, ihre Frisur sieht teuer aus. »Ich hatte es gerade geschafft«, sagt sie. »Scheidung, drei Jahre Depressionen. Acht Kilo abgenommen. Und jetzt das.«
»Sie haben wirklich eine tolle Figur«, sage ich linkisch. Einfach, weil es das Einzige ist, womit ich ihr jetzt vielleicht eine winzige, blöde Freude machen kann.
Eierstockkrebs wird oft erst spät bemerkt; bei Frau Fahn wurde er nur zufällig bei einer Routineuntersuchung entdeckt. Die Sonografie hat gezeigt, dass es sich wahrscheinlich um einen bösartigen Tumor handelt, das CT erhärtete diesen Verdacht.
Mit Sicherheit lässt sich Eierstockkrebs aber nur in einer OP diagnostizieren. Deswegen ist Frau Fahn hier.
Dann kommt die Frage, vor der ich mich immer so sehr fürchte. »Wie sind meine Chancen?«
Ich darf das nicht beantworten. Ich mache hier nur die Aufnahme. Frau Fahn hat das sicher bereits ihre Gynäkologin gefragt, ihren Hausarzt, den Arzt, der mit ihr das CT ausgewertet hat. Ich hoffe, sie haben ihr alle Mut gemacht. Trotzdem würde auch ich an ihrer Stelle jeden Arzt konsultieren, der mir begegnet. Und jede, die ich für eine Ärztin halte.
Mein Zögern hat sie verunsichert und als ich ihr jetzt sage, dass sie darüber mit den Ärzten sprechen muss, bekommt sie richtig Angst.
Total falsch, Lena.
»Sie haben Glück gehabt, dass der Tumor zufällig entdeckt wurde«, sage ich ruhig. »Erst wenn sich der Krebs im Bauchraum ausgebreitet hat, spricht man von geringen Heilungschancen.«
Das kann ich ja wohl sagen, ohne meine Kompetenzen zu überschreiten. Ich will ihr doch nur nicht noch unnötig Angst machen.
Sie sieht mich weiter an, will noch mehr. Sie will hören, dass sie gesund wird. Von einer PJlerin.
Die Überlebenschance ist abhängig von der Ausdehnung des Tumors. Die 5-Jahres-Rate bei Ovarialtumoren mit Ausdehnungüber den Eierstock hinaus liegt nicht mal bei 50 Prozent. Fünf Jahre nach der Diagnose lebt nur noch knapp die Hälfte der Patientinnen. Aber bei Frau Fahn ist doch noch nicht mal eine Biopsie gemacht worden. Theoretisch, rein logisch, gibt es sogar noch eine Chance, dass es gar kein bösartiger Tumor ist.
»Bei der OP wird erst mal festgestellt, ob die Verdachtsdiagnose überhaupt stimmt«, erkläre ich ermutigend. Und versuche, ohne ihr falsche Hoffnungen zu machen, doch auch irgendwie die winzigwinzige Chance durchklingen zu lassen, dass sie NICHT stimmt.
Sie entspannt sich ein bisschen. Ich komme mir schäbig vor. Aber vielleicht hilft es ihr doch.
Bei der Visite stelle ich meine neue Patientin schon vor. Die Biopsie wird während der OP entnommen, am Ende der Woche. Die Therapie hängt vom Stadium des Tumors ab; eventuell wird Frau Fahn unterstützend mit einer Chemotherapie behandelt.
Dr. Seidler hat es wie immer eilig. Aber es wäre ungerecht, zu behaupten, dass sie sich für eine solche Visite nicht genug Zeit nähme. In den Krankenzimmern ist sie die Ruhe selbst, erst auf dem Flur geht das Hastgetrippel weiter, im nächsten Zimmer gibt sie sich sofort wieder geduldig. Bei Frau Fahn nimmt sie sich ebenfalls Zeit für ein Gespräch, fragt, ob sie alles verstanden hat, macht Mut. Ich erkenne, was Dr. Seidler versucht. Sie bemüht sich um dasselbe, was ich auch so gerne könnte. Aber das, was ich heute Morgen bei Dr. Al-Sayed erlebt habe – das hat sie einfach nicht.
Am Abend treffe ich vor der Frühchenstation auf Frau Frisch. Sie kommt nicht wie vereinbart um halb sieben, sie kommt um Punkt sechs, obwohl sie doch während der Schichtablösung und dem Übergaberundgang der Schwestern noch nicht zu Anton darf.
»Wie ist es zu Hause?«, frage ich.
»Still«, lautet ihre Antwort. Aber sie lächelt tapfer.
Frau Frisch hat ein Spielzeug mitgebracht, das sie Anton in den Inkubator legen will. »Darf ich das?«
Es ist ein Schäfchen aus Plastik, leicht zu reinigen. Stoffspielzeuge darf Anton wegen der Bakterien-Gefahr nicht haben – oder es müsste extrem sorgfältig desinfiziert werden.
»Ich habe es extra deswegen gekauft«, erklärt Frau Frisch. Sie hat sich mit den
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