Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept
Toll ist das aber nicht, meine Liebe!
Ich beobachte die Wehen auf dem Wehenschreiber. Dieses Kind will auf die Welt kommen. Warum schafft die Kleine es nur nicht? Was machen wir, wenn sich die Öffnung nicht weitet?
Während Luis Frau Petrowski überwacht, suche ich Dr. Seidler. Ihre Antwort ist klar und lakonisch: »Reden Sie mit ihr über einen Kaiserschnitt.«
Es wäre besser, wenn es ohne ginge. Ein Kaiserschnitt ist immer ein Risiko. Wir warten noch ein bisschen.
Den Nachmittag über lasse ich Frau Petrowski beobachten. Jede Stunde, wenn die Wirkung der PDA nachlässt, bekommt sie eine neue Dosis über den Katheter injiziert. Dem Kind geht es gut, die Herztöne sind stabil. Aber es will sich nicht auf den Weg in unsere Welt machen. Frau Petrowskis Wehen können noch Stunden dauern.
Am späten Nachmittag nimmt Dr. Seidler selbst eine Untersuchung vor. Frau Petrowski ist mit den Kräften am Ende. »In einer Stunde entscheiden wir über die Sectio«, beschließt Dr. Seidler. Eine Stunde bleibt Luis für den Versuch, den Muttermund durch Wehenmittel zu öffnen.
Er hat keinen Erfolg. Um sechs ziehen wir Dr. Al-Sayed zurate. Und sie erklärt den Versuch für beendet. Keine normale Geburt für Frau Petrowski. Der Kaiserschnitt wird vorbereitet, Dr. Al-Sayed wird ihn selbst durchführen.
»Sie haben längst Feierabend, Frau Weissenbach«, sagt Dr. Al-Sayed zu mir, als ich mit ihr den OP-Trakt betreten will. »Wollen Sie nicht nach Hause?«
Auf keinen Fall! Wie kommt sie darauf? Ich werde doch Frau Petrowski jetzt nicht im Stich lassen!
»Das dachte ich mir«, lächelt die Oberärztin, als ich protestiere.
Wir ziehen uns um, waschen uns, die Anästhesistin Miriam bereitet Frau Petrowski vor; sie bekommt nur eine Teilnarkose, während wir ihr Baby holen. Ich stelle es mir schrecklich vor. Aber so was sagt man natürlich nicht. Und Frau Petrowski sieht so müde aus, vielleicht schläft sie uns doch noch ein?
Miriam führt den Kältetest durch, um die Narkose zu überprüfen; Frau Petrowski fühlt tatsächlich nichts mehr.
Wir operieren nach einem schonenden Verfahren, bei dem das Muskelgewebe nicht mehr komplett aufgeschnitten wird. Stattdessen öffnen wir die Bauchschichten, indem das Gewebe gedehnt und gerissen wird. So eine Wunde verheilt anschließend schneller und unkomplizierter.
Dr. Al-Sayed setzt den Eröffnungsschnitt quer am unteren Bauch. Danach wird nicht weiter mit Skalpell und Schere geöffnet, sondern möglichst stumpf. Dr. Al-Sayed erreicht die Gebärmutter. Sie wirft einen Blick zur Hebamme, die gleich das Kind übernehmen muss. »Alle bereit?« Die Hebamme nickt.
Dr. Al-Sayed schneidet vorsichtig. Die Gebärmutter ist geöffnet, die Oberärztin greift zu. »Jetzt«, kommandiert sie. Meine Aufgabe ist es, Druck auf den Oberbauch auszuüben, damit sie das Baby auf die Welt holen kann. Ich fange es viel zu zaghaft an.
»Nicht so zimperlich!«, ruft Dr. Al-Sayed. Es klingt wütend. Aber es gibt mir die nötige Kraft. Plötzlich ist es, als könnte das Kind keine Sekunde mehr warten.
Und dann ist es da. Das Wunder. Klein, blutig, hilflos, verschmiert. Und doch ein fertiger Mensch.
Dr. Al-Sayed übergibt das Kind der Hebamme, die es zum Waschen und zur Erstuntersuchung bringt. Dr. Mewes wartet bereits auf die Kleine.
»Ihr Mädchen ist da«, sagt Dr. Al-Sayed leise zu Frau Petrowski. Die Patientin fängt an zu weinen.
»Sina. Sie heißt Sina«, flüstert sie. Ich möchte auch losheulen.
Später, Lena. Du wirst hier keine Mutter auf dem OP-Tisch liegen lassen, um erst mal deine Rührung herunterzuheulen.
»Zunähen«, kommandiert Dr. Al-Sayed. Sie näht die Gebärmutter, die Faszie und die Bauchmuskulatur, ich darf die Haut verschließen.
Aus den Augenwinkeln nehme ich wahr, wie Herr Petrowski den Bereich betritt, in dem seine kleine Tochter untersucht wird.
Als wir die OP abschließen, übergibt Dr. Mewes dem frischgebackenen Vater seine kleine Tochter.
Ungerecht, denke ich kurz bei mir. Frau Petrowski muss all das hier allein durchstehen und er darf das Baby als Erstes halten. Doch Frau Petrowski ist eingeschlafen. Endlich.
Auch ich kann vor Müdigkeit kaum noch stehen, als wir den OP-Bereich verlassen. Was für ein langer, anstrengender Tag!
»Wir beide, was?«, lächelt mich Dr. Al-Sayed an. Ich könnte platzen vor Stolz. Wir beide!
Ich erinnere mich an meine erste OP mit ihr. So unsicher. Ihr Vertrauen hat mich gerettet. Doch das hier ist tausendmal besser. Dass
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