Miss Emergency
Herausforderungen, die Jenny liebt. Sofort entwickelt sie mit Feuereifer Pläne, wie Thalheim und ich uns endlich unauffällig treffen könnten. Die meisten sind unbrauchbar – ich bin jedenfalls nicht bereit, wie ein Stalker seine Adresse auszukundschaften und sein Haus zu belagern oder mich gar nachts in sein Büro zu schleichen, um ihn morgens mit einem beherzten Sprung aus dem Schrank zu überraschen. Aber Jennys Vorschlag, mich morgen mit einem dienstlichen Auftrag in sein Büro schicken zu lassen, findet schließlich – vielleicht auch dem Sekt geschuldet – meine Zustimmung.
»Immerhin wurde gerade eine Patientin von der Inneren auf die Chirurgie verlegt. Ich könnte mir vorstellen, dass ich für Paula Schwab noch einige Unterlagen brauche. Vielleicht habe ich ja keine Zeit, sie selbst abzuholen …?«
Ich muss anmerken, dass die Unterlagen garantiert in derselben Sekunde auf der Chirurgie angekommen sind wie die Patientin. Jenny grinst. »Bin ich nicht Meisterin im Akten-Verbummeln?« Natürlich kann ich nicht zulassen, dass Jenny, die im letzten Tertial gewaltigen Ärger wegen einem verschwundenen Bericht hatte, noch einmal ihren Ruf riskiert. Wir können Paulas Unterlagen also nicht wirklich verbummeln – aber ein wenig dumm stellen darf man sich ja wohl. Und als Vorwand taugt Paulas Akte prima. Als ich endlich ins Bett wanke, stimmt mich die Aussicht auf den nächsten Tag fast glücklich.
E s regnet. Unsere legendäre Floßtour ist keine sechs Wochen her, doch der sonnige Nachmittag, an dem wir in Sommerkleidern über den See geschippert sind, scheint an diesem verregneten Herbstmorgen Lichtjahre zurückzuliegen. Das Laub vermatscht auf den Gehsteigen, wir schnipsen die ersten Kastanien vor uns her, Isa steckt eine als Glücksbringer ein. Vor der OP hat sie nicht so viel Angst, aber für die Vorbesprechung bei Dr. Thiersch kann sie jede Unterstützung brauchen. Wie gut, dass ich den Glückskuli habe. Nicht nur, weil er neben der Schicksalslenkung auch noch nützlich ist. Sondern weil es schrecklich wäre, im entscheidenden Moment feststellen zu müssen, dass der Talisman, bei dem man Zuflucht sucht, ganz armselig verschrumpelt und entzaubert ist. Ich fühle also nach dem Glückskuli. Alles gut, er ist da. Denn ich bin heute ebenfalls nervös. Unser Triff-ihn-unauffällig-Plan scheint im trüben 7-Uhr-Licht nicht mehr ganz so brillant.
Die Vormittagsrunde findet schon ohne Isa statt. Als wir anderen unsere Wagen losschieben, bekommt sie von Schwester Jana einen Tee und die Empfehlung, sich im Arztzimmer noch ein wenig zu sammeln. Unsere Kleine nimmt das Angebot stolz an. Ich wünsche ihr Glück … und beneide sie einen kurzen Moment. Genau so lange, bis ich mit meinem Wagen um die Ecke biege und mir das bekannte Absatzklickern entgegenstöckelt. Dr. Thiersch reißt die Tür zum Arztraum auf – ich kann nur hoffen, dass Isa sich nicht vor Schreck den Tee über den Kittel schüttet –und ruft mit Offiziersstimme hinein: »Assistenz zu mir! Tee wegstellen und ab in den OP!« Ich gehe eilig weiter und bin heimlich doch ein wenig erleichtert, dass es mich nicht als Erste trifft.
Ich beginne meine Runde bei Frau Schneider mit den Gallensteinen. Blutdruck, Temperatur und Puls sind in bester Ordnung; ich muss nur noch die Heparinspritze setzen und die Operationskleidung ausgeben, dann kann die Patientin in den Narkoseraum gebracht werden. Frau Schneider wirkt missmutig; die sonst so freundliche Begrüßung entfällt heute. Um ihr Mut zu machen, erwähne ich noch einmal, dass Isa eine vorbildliche PJlerin mit Bestnoten ist. Und dass zudem ja noch jede Menge erfahrene Ärzte dabei sind. Frau Schneider schüttelt den Kopf. »Es ist völlig okay, dass man sich vor einer OP ein bisschen fürchtet«, sage ich, ganz Profi.
Sie winkt ab. »Ich bin zäh – und ich habe mein Testament gemacht. Was mir fehlt, ist nur der Kaffee!« Ich muss grinsen und endlich schmunzelt Frau Schneider auch. »Dass die Schwester das Frühstück verbietet, leuchtet mir ja noch ein. Aber ohne Kaffee bin ich einfach kein Mensch!«
Na, damit kann ich umgehen. Ich erkläre ihr, dass die Nüchternheit notwendig ist, weil bei der Narkose Mageninhalt in die Lunge gelangen könnte – was zu einer Lungenentzündung oder sogar zu Ersticken führen kann. Und dann ziehe ich die OP-Kleidung aus ihrer Schutzhülle und sage: »Wenn Sie den Kaffee-Entzug bedauern, dann sicher nur, weil Sie DAS HIER noch nicht gesehen haben!« Ich lege
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