Miss Emergency
durchstehen.« Isa nicktschicksalsergeben. Eigentlich nett von Dr. Thiersch, ihr erst mal eine »leichtere« OP zu geben. Das tröstet mich über die ganz kurze Enttäuschung hinweg, dass ICH nicht für Frau Jahn eingeteilt wurde, die ja in den letzten Tagen ein wenig meiner Obhut unterstand. Dr. Thiersch seufzt und fährt fort. »Die Lendenwirbelsäule ist für heute Nachmittag angesetzt. Da hätte ich dann doch gern jemanden mit etwas stärkeren Nerven.« Sie sieht sich um. Diesmal drängen sich nicht eben viele PJler auf, außer Sabrina melden sich nur Ernie und Bert – und Jenny. Das hätte ich mir denken können. Sie liebt Herausforderungen und eigentlich wollen wir doch alle endlich rausfinden, was wir können. Warum soll ich mich nicht auch melden? Als Letzte, dafür entschlossen, hebe auch ich den Finger. Dr. Thiersch nickt Jenny zu. »14 Uhr. Vorher Blutabnahme, EKG und Röntgen der Lunge, Heparin geben. Zur Narkosevisite gehen Sie auch schon mal mit.« Jenny nickt eilig, stolz. Und dann wendet sich Dr. Thiersch zu mir und sagt: »Sie operieren, wenn ich sicher sein kann, dass sie nicht erst zum Zunähen im OP erscheinen.« Das war unnötig. Aber ich wehre mich nicht. Ich war zu spät, das ist die Quittung und vier Minuten können im Krankenhaus über lebenswichtigere Dinge entscheiden als darüber, ob man eine OP bekommt.
Dr. Thiersch stöckelt von dannen und meine Freundinnen trösten mich herzerwärmend. Ich erkläre, dass ich die Strafe einsehe und sie sich keine Gedanken machen müssen. Aber als die beiden im Arztraum verschwinden und ich die Einzige bin, die mit dem Wagen herumzieht und wieder nichts Aufregenderes tun darf als Blut abnehmen, bin ich doch irgendwie geknickt.
Herr Kohler, die Bauchspeicheldrüse, fühlt sich heute besser, doch die Sonde, über die er ernährt wird, wurde noch nicht entfernt. Der Nahrungsaufbau muss langsam und behutsam durchgeführt werden und Herr Kohler ist weder in einer Gewichtsklasse noch in einem Alter, in dem man den Gewichtsverlust nach so einer OP problemlos wegsteckt. Ich nehme ihm Blut ab und kläre ihn darüber auf, warum seine Blutzuckerwerte kontrolliert werden müssen. Ich bin ein wenig stolz darauf, dass das entsprechendeFachwissen in meiner medizinischen Hirnschublade sofort zur Verfügung steht und lückenlos abgerufen werden kann. »Wenn die Funktion der Bauchspeicheldrüse eingeschränkt ist, kann es passieren, dass zu wenig Insulin oder zu wenig Pankreasenzyme produziert werden«, doziere ich professionell. »Beides kann man mit Medikamenten beheben …«
Herr Kohler unterbricht und sieht mich groß an. »Heißt das, dass ich jetzt für immer Medikamente nehmen muss?!« Ich stocke nur kurz, dann finde ich den Faden wieder. »Ja, das heißt es. Bei einer Pankreasenzymsubstitution müssen Sie Enzyme zuführen, die die der Bauchspeicheldrüse ersetzen. Bei einer Insulinsubstitution bekommen Sie einen direkten Insulinersatz zur Blutzuckertherapie.« Wer sagt, dass du keine gute Ärztin bist?! Du weißt einfach alles, Lena! Die vier Minuten sollten nach so einem guten Auftritt echt vergeben sein.
Nur Herr Kohler ist nicht beeindruckt. »Dann habe ich das jetzt mein Leben lang?«, fragt er. »Dann kann ich nie wieder essen, was ich will? Oder spontan verreisen?«
»Doch …« Ich komme ins Stottern. »Mit den Enzymen. Die müssen Sie dann sowieso auf Vorrat haben. 6 bis 12 Kapseln am Tag. Je nachdem …« Irgendwie klingt das jetzt nicht mehr so souverän, Lena. Und er sieht immer noch sehr erschrocken und hilflos aus.
»Was für Enzyme genau? Ich hab Sie nicht verstanden.«
Na toll, Lena. Auf deinen kalten Theorievortrag kannst du dir richtig was einbilden! Wem willst du hier was beweisen? Genau: Dr. Thiersch. Und nicht dem armen Herrn Kohler. Ich setze mich an sein Bett und erkläre in aller Ruhe, was ihn erwartet. Mit Lena-Worten. Ohne Dr.-Thiersch-Jargon. Ich brauche eine halbe Stunde, am Ende reden wir über unser Lieblingsessen und die Kombinationsmöglichkeiten von Joghurt. Und irgendwann lächelt er und sagt: »Sie haben mich richtig eingeschüchtert mit Ihrem Fachvokabular.« Ich entschuldige mich und gebe zu, dass ich heute aus ganz persönlichen Gründen darauf versessen war, zu beweisen, dass ich eine echt gute, weil bestens beschlageneÄrztin bin. Er grinst: »Aber die ganz guten Ärzte erklären es eben ohne ›Insulinsubsumption‹.« Und ich verkneife mir, dass das »Insulinsubstitution« heißt.
Bei Frau Schneider klappt alles
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