Miss Emergency
herstellen.«
Ich muss lachen, aber sie hat recht. Tobias. In seiner Abwesenheit und beim dritten Likör gebrauche ich den Vornamen ganz locker. Warum spreche ich ihn nicht so an? Herrscht in unserer Beziehung etwa ein hierarchisches Ungleichgewicht? Bin ich selbst nicht in der Lage, mich von der Oberarzt-PJlerin-Disposition zu lösen?
Als ich diese Bedenken vorbringe, lacht Jenny jedoch. »Erstens: Der Einsatz von Fremdwörtern unter Liköreinfluss sollte niemals leichtfertig geschehen. Und zweitens: Vielleicht ist Tobias auch einfach ein total Traummann-unpassender Name.« Also das finde ich nicht! Und dann sage ich so oft TobiasTobiasTobias, bis es ganz vertraut klingt. Ab heute erteile ich mir die Erlaubnis zu solch sprachlicher Intimität.
Morgens jedenfalls sind die Schritte noch schwerer als unsere Köpfe. Und es kommt, wie es kommen muss. (Im ersten Tertial habe ich mir geschworen, mich niemals mehr an Wochentagen an Feiereien zu beteiligen. Jetzt weiß ich schlagartig wieder warum!) Auf dem Chirurgieflur stehen die PJler stramm. Chefarztvisite. DAS hat das Wort Katastrophe verdient!
D r. Dr. Kreuz hat sich nicht verändert. Wie im letzten Tertial schreitet er majestätisch voraus über die Flure, verbringt an jedem Krankenbett dieselbe Zeit, lässt sich Akten reichen und inquiriert. Ich habe schreckliche Kopfschmerzen und kann nur mit letzter Kraft beide Daumen drücken, dass ich nicht allzu eingehend befragt werde. Zur Beantwortung kniffliger Chefarztfragen ist heute wirklich nicht genug Hirnmasse verfügbar. (Die Gehirnzellen schlafen komatös ihren Rausch aus, ich glaube, sie haben sich eben noch mal umgedreht, um noch ein halbes Stündchen dranzuhängen.) Jenny und ich mogeln uns ans Ende der Reihe und ich sehe ihr an, dass die Stimmlautstärke des Chefarztes auch bei ihr heftiges Schädelbrummen verursacht.
Neu an der Chefvisite ist in diesem Tertial, dass er nicht mehr nur Diagnosen abfragt, sondern jeweils auch wissen möchte, wie die OP ablaufen wird oder bereits vor sich ging und welcher PJler assistieren durfte. Sabrina Schulte räumt mächtig ab, sie kann von uns allen die meisten OPs verbuchen und antwortet auf die Chefarztfragen in einem Tonfall, als unterhielten sich zwei Gleichgestellte. »Selbstverständlich müssen wir die Drainagen beobachten und ziehen, wenn sie nichts mehr fördern«, sagt sie lächelnd am Bett des immer noch sehr schwachen Herrn Reichelt, »aber die Klammern können ja dann ambulant entfernt werden, also kann der Patient nächste Woche bereits entlassen werden.«
Dr. Dr. Kreuz nickt. »Wer hat assistiert?« Sabrina lächelt bescheiden, als sei das keine Frage. Doch auch Jenny zeigt auf. So viel Körperbeherrschung ist schon noch verfügbar – und sie scheint sich für ihren Ausfall auch nicht zu genieren. Dr. Dr. Kreuz mustert die beiden unterschiedlichen Mädchen. »Und?«, fragt er dann fast schmunzelnd. »Wer von Ihnen hat schlappgemacht?«
Sabrina ist wenigstens so anständig, nicht gleich mit dem Finger auf Jenny zu zeigen. Das ist auch nicht notwendig, denn Jenny gibt es unumwunden zu. Und siehe da: Statt herablassend zu werden, schenkt ihr der Chef sogar die Andeutung eines Lächelns. »Nun«, sagt er bedächtig, »in einer Vier-Stunden-OP ist das kein Grund zum Schämen. Ich habe gestandene Chirurgen erlebt, die das Doppelte Ihres Kampfgewichtes hatten und trotzdem zusammengebrochen sind wie kleine Mädchen. Wann unternehmen Sie den nächsten Versuch?«
Jenny grinst. »Jederzeit.«
Dr. Kreuz nickt ihr zu. »Angenehm, dass Sie in diesem Tertial mal durch Einsatz auffallen wollen.« Jenny steckt diese Anspielung kommentarlos ein, der Freispruch des Chefarzts bedeutet ihr mehr – und wie schön, dass er die eifrige und stolze Sabrina gar nicht besonders lobt! Stattdessen dreht er sich zu Isa um … da ist er wieder, der allmächtige Chefarztfinger; er bleibt genau vor Isas Nase hängen, die erschrocken fast ein wenig zu schielen anfängt. »Und was können Sie mir über IHRE OP-Qualitäten sagen? Durften Sie Ihre Nerven schon auf die Probe stellen?«
Isa nickt. »Zweimal«, flüstert sie. Wer weiß, dass sie im letzten Tertial überhaupt nicht in der Lage war, mit dem Chefarzt zu sprechen, erlebt diese geflüsterte Antwort als einen großen Fortschritt. Dr. Gode aber, der nichts von Isas lang anhaltender Sprechhemmung ahnt, glaubt wohl, er müsse für sie in die Bresche springen. »Sie hat bereits zweimal assistiert und sich beim zweiten Einsatz
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