Miss Emergency
in der Badewanne. Das ist das Einzige, was gegen dieses blöde Gefühl hilft. Und um zehn gehe ich ins Bett, begleitet von einem riesigen Lehrbuchstapel. Strafe muss sein. Von wegen schönes Wochenende!
I sa fasst langsam wieder Mut, Tom hat sich allmählich mit ihrer Umzugsabsage abgefunden. Die Hochzeitspläne sind vorerst vom Tisch;Tom ist altmodisch und findet, dass eine gemeinsame Wohnung zu einer Ehe gehört. Aber inzwischen sind die beiden dazu übergegangen, Reise- und Besuchspläne für die kommenden 52 Wochenenden aufzustellen. Leider wird Isa langsam klar, was es bedeutet, wenn sich ihre große Liebe in eine Fernbeziehung verwandelt. Sie verbringt jede freie Minute bei Tom und kommt immer trauriger zurück. Am Sonntagabend sitzen wir beide wie zwei gerupfte Hühnchen in unserer Küche – ein grotesker Gegensatz zu dem blinkenden Weihnachtsland ringsum. Jenny macht unsere Betrübnis schlechte Laune; sie löst gnadenlos alle Singtrolle aus und ist beleidigt, dass wir diese Bemühungen nicht honorieren. »Morgen dürft ihr wieder arbeiten, das hebt eure Stimmung vielleicht ein bisschen«, sagt sie knautschig. Klar. Morgen darf ich wieder ins Krankenhaus, wo eine OP stattfindet, bei der ich nicht dabei sein darf und ich einem Oberarzt begegnen werde, der nach meiner Samstagabendaktion sicher ganz große Lust hat, mich zu sehen. Es tut mir leid für Jenny und ihre singenden Wichtel. Aber mir kann heute gar nichts helfen.
Am Montagmorgen weiß ich, mit wem ich reden will. Ich fahre in aller Frühe zum Krankenhaus. Und ich habe einen von Jennys funkelnden Trollen im Gepäck, einen kleinen mit blauen Haaren. Ruben betrachtet ihn skeptisch. »Kaffee?« Ich nicke und lasse mich an seinem Tresen nieder.
»Ruben«, frage ich, »sagst du mir bitte, was du weißt?« Er sieht mich an und beginnt Kartoffeln zu schälen. Hat er vor, mich warten zu lassen, bis er die ganze Tonne bearbeitet hat?!
»Soll ich dir helfen?«, frage ich, als er etwa drei Minuten schweigend vor sich hin geschält hat. Ich habe nicht ewig Zeit.
Ruben schüttelt den Kopf. »Frag mich doch lieber endlich, wie es mir geht!« Schuldbewusst wiederhole ich die Frage. Und siehe da, er grinst. »Bestens, danke. Immer wieder schön, empathische Frauen zu treffen. Ich habe eine unfassbar nette Feuerspuckerin kennengelernt. Allein die Schilderung ihrer Haare und ihres herrlichen Kostüms wird eine halbe Stunde dauern. Dann erzähle ich dir jedes kleine Detail unseres Kennenlernens und wiederhole jeden einzelnen Dialog. Und DANN kannst du mich fragen, was ich zu deinem Stationsklatsch weiß.« Ich sehe seufzend zur Uhr. Ich weiß, das habe ich verdient. Ich habe ihn in letzter Zeit vernachlässigt. Aber es ist zehn vor acht, die Cafeteria wird sich in wenigen Minuten füllen und ich muss pünktlich oben sein. Mitleid heischend sehe ich ihn an. Ruben lächelt. »Oder du schälst die Kartoffeln.«
Eine Minute später sitze ich hinter dem Tresen und versuche, so schnell ich kann zu schälen, ohne mir Stärkeflecken auf meinem schwarzen Pullover einzufangen.
»Okay, deine Kollegen sind ehrgeizig«, sagt Ruben und beobachtet amüsiert, wie ich mit den Kartoffeln kämpfe. »Aber sie sind keine Arschlöcher. Und jeder, der ein bisschen gescheit ist, wird wissen, dass er sich ganz schnell ins Abseits stellt, wenn er versucht, sich bei Dr. Thiersch einzukratzen. Darauf steht sie definitiv nicht.« Aber wenn nicht meine Kollegen – wer ist es dann, der Jenny verpetzt und mir meine OP vermiest hat? »Denk mal an jemanden, der nichts zu befürchten hat«, sagt Ruben. »Jemand, der sich zuständig fühlt …« Ach du meine Güte, meint er Dr. Gode? Ruben zieht die Augenbrauen hoch. »Menschenkenntnis null, Lena. Er würde das doch nicht hinterrücks tun. Ganz abgesehen davon, dass Dr. Gode selbst entscheiden kann und sich nicht hinter seiner Oberärztin verstecken muss.« Okay, das erleichtertmich. Also, wen meint er dann? »Denk an jemanden, der sich für alles zuständig fühlt, aber nichts bestimmen kann …«
Jana. Ich wusste es. Verdammt.
»Ich hab nichts gesagt«, lächelt Ruben trübselig, als ich es ausspreche. »Aber wenn du es ohnehin wusstest …«
Ich bin irgendwie bedrückt. Klar, Jana ist wohl die, bei der es mich noch am wenigsten trifft. Trotzdem. Ich fand sie so herzerwärmend nett.
»Und was mache ich jetzt?«, frage ich ratlos. Ruben nimmt mir das Messer aus der Hand.
»Nichts«, antwortet er. »Nicht jetzt gleich. Das ist
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