Miss Emergency
Kraftverschwendung und du musst an dich denken.« Er zeigt mit dem Messer auf mich. »Du musst wissen, wo die wichtigste Front ist, Lena. Und für Dr. Thiersch wirst du erst mal deine ganze Kraft brauchen.« Er hat recht. Ich muss zu ihr gehen, mich wehren. »Ach und noch was, was du unbedingt lernen solltest«, lächelt Ruben und hält eine meiner Kartoffeln hoch. »Im Viereck schält man Kartoffeln nur auf Hochseeschiffen.«
Ich muss lachen, ich könnte ihn umarmen. Die ersten Krankenschwestern kommen in die Cafeteria. Ich wende mich zum Gehen, dann halte ich noch einmal inne. »Eine Feuerspuckerin, Ruben?«
Er nickt. »Eigentlich habe ich mich nur gefragt, wie es ist, sie zu küssen. Und schwupps, jetzt reise ich am Wochenende dem Zirkus hinterher. Was bringt uns die Liebe nicht immer zu schrägen Dingen?« Er grinst. »Aber darüber sollten wir uns ohne Schwesternschaft unterhalten.« Die Pflegeschwestern umdrängen den Tresen. Ruben schenkt Kaffee ein. »Nimm mit, das macht sachlich«, raunt er und drückt mir eines der Kartoffelvierecke in die Hand. Ich nehme es. Was würde ich nur ohne ihn tun?
Im Aufzug schnurpse ich tatsächlich das Stückchen rohe Kartoffel. Ich weiß, dass es idiotisch ist. Aber bis jetzt hatte Ruben immer recht und für Aberglauben, tut mir leid, bin ich nun mal empfänglich.
Dr. Thiersch winkt mich in ihr Büro, meine entschlosseneMiene macht offenbar Eindruck. Gestärkt von meinem Rubengespräch (und vielleicht einer verzauberten Kartoffel) komme ich gleich zur Sache.
»Ich weiß, dass Sie über die OP-Vergabe nach bestem Wissen entscheiden«, beginne ich. »Ich weiß, dass Sie niemanden assistieren lassen, der Ihnen nicht geeignet erscheint. Ich bin einmal zu spät gekommen, das ist aber lange her und seitdem habe ich mir nie wieder irgendwas zuschulden kommen lassen. Ich bin in einer Blinddarm-OP umgekippt, das stimmt ebenfalls. Aber das ist auch anderen passiert, die danach jede Menge OPs zugeteilt bekamen und so die Chance hatten, zu beweisen, dass sie inzwischen die nötige Nervenstärke haben. Ich hatte diese Chance nicht. Ich bin auf die Bypass-OP so gut vorbereitet, wie es nur irgendein Mensch sein kann. Ich bitte Sie, mich darüber zu fragen, was immer Sie wollen. Wenn ich nur eine einzige Frage nicht korrekt beantworte, verzichte ich auf die OP. Wenn ich noch einmal umkippe, bitte ich nie wieder um irgendeine Assistenz. Aber ich will eine Chance.«
Puh, Lena, das gibt’s doch nicht. Du hast den ganzen Text rausgebracht, ohne einmal zu stocken. Schon dafür hast du dir die OP verdient. Und sie hat dir zugehört.
Dr. Thiersch mustert mich, als sehe sie mich zum ersten Mal. »Ich kann nur für Sie hoffen, dass Sie sich damit nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt haben«, sagt sie. Ja, liebe eisige Oberärztin. Aber du hoffst es nicht so sehr wie ich. Im Nachhinein kommt nämlich doch die Angst vor der eigenen Courage – und zwar mit voller Wucht. Zeig es nicht, Lena, bitte bleib einmal cool!
»Erzählen Sie mal, wie man den Brustkorb eröffnet, wenn keine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen werden soll.« Die Frage ist lächerlich. Zwei Möglichkeiten. OPCAB-Methode, Zugang über einen Längsschnitt in der Mitte des Brustkorbs. MIDCAB-Operation, ein kleinerer Schnitt an der linken Seite, zwischen den Rippen. Dr. Thiersch wollte wohl nur hören, ob ich überhaupt antworten kann – und es wage. Schon nach dem ersten Satz unterbricht sie mich. »Aber Eröffnen werden Sie natürlichnicht.« Das war’s. Ich darf gehen. Und operieren. Ich kann es nicht fassen. An der Tür hält sie mich noch einmal auf. »Ich nehme all Ihre leichtfertigen Angebote an, Frau Weissenbach. Also sehen Sie zu, dass Sie das vorbildlich hinkriegen.« Ich nicke. Der Druck ist mir im Moment vollkommen egal. Ich darf operieren.
Die Vormittagsrunde geht mir leicht von der Hand. Ich bin glücklich. Gerade noch rechtzeitig kommt mir der Gedanke, dass ich Professor Dehmel vielleicht nicht so begeistert zeigen sollte, dass ich seine OP nicht erwarten kann. Die Vorbereitung ist abgeschlossen, alles ist bereit, heute Nachmittag ist es so weit. »Wir schaffen das«, sage ich und drücke seine Hand.
»Wenn irgendetwas schiefgeht«, lächelt er leise, »dann sorgen Sie dafür, dass das Telefonnummernbuch doch noch voll wird und bei meinem Testament liegt.«
Ich nicke. »Und ich verspreche: Wenn etwas schiefgeht, werde ich auf Physik umsatteln, ein neues Bildgebungsverfahren erfinden und es nach Ihnen
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