Miss Emergency
offen und normal mit mir über das sprechen wird, was ihn beschäftigt. Aber was ist, wenn das, was wir jetzt haben, schon alles ist? Wenn er nicht mehr zu geben bereit ist? Oder in der Lage?
»Sei doch froh, wenn er dich nicht mit seinem Kram belastet. Nichts ist besser als ein Typ, der keine Ansprüche stellt«, will Jenny mich trösten. Aber das ist es nicht, was ICH mir wünsche. Das Leben in einer festen Beziehung war in meinen Träumen immer grundlegend anders.
J enny hat eindeutig einen Vogel. Anders lässt sich nicht erklären, was ich an diesem Abend in unserer Wohnung vorfinde. Die Wildweihnachtsdeko wirkt richtig blass angesichts der lebenden Wichtel und Engel in unseren Zimmern. Jenny kommt an mir vorbeigetanzt, sie trägt ein blinkendes Rentiergeweih. »Wir haben unsere Adventsparty vorverlegt«, informiert sie mich strahlend. »Im Dezember hat doch immer keiner Zeit!« Stimmt – nur noch wenige Wochen bis Weihnachten. Mal sehen, ob ich dann noch ein einziges Weihnachtslied, -gebäck oder -accessoire ertragen kann, wenn dieser Zirkus so weitergeht. Es riecht nach Keksen, tatsächlich, in der Küche wird gebacken. Getrunken wird aber auch reichlich dazu, die Mädels, die die Kekse verzieren, lachen sich über ihre teils anzüglichen Kreationen schier kaputt. Isa wirkt ebenfalls überfordert von all dem Weihnachtspop, aber dass Tom da ist, steigert ihre Laune und Geduld enorm.
Leider hat Tom den Weihnachtselch mitgebracht, halb-lebensgroß verstopft er unseren Flur. Es dauert nicht lange, bis die ersten Gäste darauf reiten und sich von anderen Gästen auf dem Elch durch die Zimmer schieben lassen. »Ich verstehe, dass du ihn nicht in deiner Wohnung haben willst«, schreie ich Tom über die Musik hinweg zu. »Aber hättest du ihn nicht auf dem Weg nach München an der Autobahn aussetzen können?«
Isa lacht. Tom nicht. Hab ich was Falsches gesagt? Er wird doch nicht an dem blöden Elch hängen?!
Irritiert gehe ich weiter, um herauszufinden, was aus meinemZimmer so seltsam riecht. Aha, jemand macht Feuerzangenbowle. In der großen Nierenschale, die ich von meinen Lübecker Freundinnen zum Wegzug geschenkt bekam. Ich gehe wieder hinaus. Manchmal schaut man besser gar nicht zu genau hin.
Eine halbe Stunde später bin ich zufällig allein mit Tom in der Küche. Alle anderen spielen in Jennys Zimmer etwas, das »Was hat der Nikolaus im Socken?« heißt und bei dem ausufernd gekreischt wird. Ich nutze die Gelegenheit, mich für die Verunglimpfung des Elches zu entschuldigen – und wie ich vermutet habe, war nicht meine despektierliche Bemerkung der Grund für seine seltsame Reaktion. »Es ist was anderes«, sagt Tom irgendwie traurig. »Ich zieh nicht nach München.«
Ich bin sprachlos. Ohne jede Regung erzählt er, dass er beschlossen hat, den Job abzusagen. Er wird sich um eine Stelle in Berlin bewerben. Wie Tausende von anderen Absolventen. Für Isa.
Ich kann es nicht fassen – und mich zwischen Skepsis und romantischer Rührung gar nicht entscheiden. Wird er denn hier etwas finden? War das nicht ein Traumjob? Tom zuckt die Achseln. »Aber nicht mein Leben«, sagt er ruhig, »ohne Isa.« Und jetzt bin ich doch einfach nur ergriffen. Wie wird Isa sich freuen! Sie betritt im selben Moment die Küche, auf der Suche nach Tom, ahnungslos. Ich lasse die beiden allein.
Es dauert nur fünf Minuten, dann hängt eine überglückliche Isa freudestrahlend an meinem Hals. Erst an diesem ungewohnten Gefühlsausbruch merke ich, wie schwer sie die Trennungsaussicht wirklich belastet hat. »Er bleibt«, jubelt sie, »er bleibt! Jetzt können wir endlich wieder ganz normal und glücklich sein!« Sie stürzt Tom in die Arme und küsst ihn vor aller Augen.
»Dann sind wir ja endlich wieder alle zusammen«, sagt Jenny und tätschelt den Elch. »Lass uns die Daumen drücken, dass er das nicht morgen bereut.«
Aber ich bin nicht gewillt, mir Isas Stimmung trüben zu lassen; wann haben wir sie zum letzten Mal so glücklich gesehen? »Jetzt unke nicht«, weise ich Jenny zurecht. Und dann schiebe ich sie auf dem Elch bis ins Bad.
Der erste Dezember ist ein klarer Morgen. Wir fahren zur Arbeit durch einen rosafarbenen Frühnebel. Die Silhouette des Doms wirkt fast orientalisch, die Gebäude verschwimmen im Nebel. Einzig scharf umrissen sind die Dachfirst-Figuren auf der Museumsinsel. Ein Pferd springt in die rosa Leere. Mittlerweile wird es auch außerhalb unserer Wohnung Weihnachten, überall entlang der
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