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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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wohlhabende ältere Dame mit Sinn für Eleganz schließen. Die Fahrt über sechs Meilen von Fordham hatte sie aufgrund des gut gepolsterten Wagens und ihrer Disziplin mit Gelassenheit hingenommen. Folglich war an ihr weder eine Knitterfalte noch eine aus der Façon geratene Locke zu entdecken.
    »Ach, Robert«, sagte sie und streckte ihm ihre behandschuhte Hand entgegen. »Wie schön, dich hier zu sehen.«
    »Danke, Ma’am«, entgegnete er. »Ich hoffe, Ihr Besuch war erfreulich?«
    »Ja, sehr. Wir hatten gar nicht geplant, so lange zu bleiben, aber die Moltons haben Susannah so ins Herz geschlossen, da konnten wir uns einfach nicht losreißen. Ich hoffe, du hast dich hier schon wieder eingelebt. Wann bist du angekommen?«
    »Dienstagnacht.«
    »Ach, wie schade, dass wir nicht da waren. Du wirst doch sicher noch ein paar Tage bei uns bleiben, nicht?«
    »Noch ein paar Tage, dann muss ich aber zurück nach Woolwich.«
    »Ach ja, die Pflicht ruft. Wir dürfen uns nicht über Pflichten ärgern, wie sehr sie auch unserem privaten Vergnügen zuwiderlaufen mögen, besonders in Kriegszeiten.« Sie winkte ihre ältere Tochter zu sich. »Susannah, hier ist dein Cousin.«
    »Lieber Bobs, wie schön«, rief Susannah aus und lief auf ihn zu. »Wir konnten es alle kaum erwarten, dich wiederzusehen.« Sie war ein weicheres, sanftmütigeres Abbild ihrer Mutter und eine wahre Schönheit.
    Er lächelte sie an, nahm sie bei der Hand und sagte etwas Angemessenes. Lady Armitage meinte dazu lediglich: »Reizend« und rief dann aus, Sir William solle keinesfalls eines der Gepäckstücke hochheben, denn sie sei recht in Sorge um ihn. Als Holland sich umdrehte, um sich selbst um das Gepäck zu kümmern, bat Lady Armitage Susannah um ihren Arm und führte sie unverzüglich ins Haus. Als auch die Männer das Gebäude betraten, waren die Damen bereits nach oben verschwunden, um sich auszuruhen und für den Abend zurechtzumachen.
    Die Erklärung für dieses Manöver hätte jedem noch so begriffsstutzigen Mann eingeleuchtet, zu denen Holland sich keineswegs zählte. »Es würde mich nicht verwundern«, sagte er zu seinem Spiegelbild, während er mit seinem Halstuch kämpfte, »wenn sie ein Schmuck-Embargo ausgesprochen hätte. Nichts außer Haarkrepp und Schals, bis ich weg bin und der verdammte Mr. Grantley Molton auftaucht.«
    Seine Prophezeiung bewahrheitete sich jedoch nur zum Teil, denn die Damen erschienen in einem formidablen Aufgebot aus Seide und Spitze, wenngleich Susannahs Kleid mit hohem Kragen und breitem weißem Halsband etwas puritanisch anmutete. Holland lächelte vor sich hin, als er die Sitzordnung am Esstisch gewahrte: Sein Platz war neben Lady Armitage, aber weit entfernt von Susannah, die kein Gegenüber hatte und zur Linken ihres Vaters am Kopfende des Tisches sitzen sollte.
    Trotz dieser anfänglichen Restriktionen war es ein angenehmes Dinner. Alle schienen glücklich, zusammen daheim zu sein. Hollands Verhältnis zu den Armitages war dergestalt, dass seine Anwesenheit in Storey’s Court für die Familie die Regel darstellte und seine lange Abwesenheit eher die Ausnahme. Sir William erfreute sich an der Gegenwart seiner »geliebten jungen Familie«, die munter Konversation betrieb. Solange ihre mütterlichen Instinkte ihr nicht in die Quere kamen, war auch Lady Armitage eine freundliche, fürsorgliche Gastgeberin. Als die Bemerkungen ihres Ehegatten über die Gebeine von Heiligen die allgemeine Diskussion über Geister auf Hinrichtungen und den damit verbundenen Aberglauben verlagerten, hielt sie sich zurück. In seiner Jugend hatte Sir William einige Hinrichtungen erlebt, und er berichtete davon, wie viel Wert die Leute einem Stück Strick oder der Kleidung des Toten beimaßen. Einen verurteilten Mann zu berühren, oder besser noch, ihm die Hand gegeben zu haben, sah man als besonders gutes Omen an.
    »Warum werden Leute gehenkt?«, fragte Charlotte. »Verbrecher, meine ich.«
    »Das könnte man sich fragen«, antwortete ihr Vater, aber noch bevor er zu einer Rede über das Strafrecht ansetzen konnte, machte sie ihm klar, dass sie kein Interesse daran habe, warum Verbrecher aufgehängt werden, sondern warum man sie henkte und nicht auf andere Weise bestrafte.
    Das brachte ihn aus dem Konzept, und Sir William hatte keine Erklärung parat. Er vermutete, dass das Erhängen den Vorteil habe, nicht sonderlich kostspielig zu sein.
    Charlotte erwog dies. »Was ist schlimmer, erschossen oder erhängt - gehenkt zu

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