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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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stand, beschäftigte Mary den restlichen Nachmittag. Ihr war zwar klar, was sie tun sollte, aber sie schreckte davor zurück. Als das Haus abends abgeschlossen wurde und alle sich noch einen schönen Abend wünschten, klangen ihre Worte nicht ganz aufrichtig, und ihre Gedanken weilten mitnichten bei den Spargelzangen.
    Die Rückfahrt nach Lindham Hall verlief ruhig. Bei ihrer Ankunft wechselte sie kaum ein Wort mit Peggy oder Mr. Cuff, sondern ging geradewegs nach oben in ihre Kammer. Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, legte sie Hut und Mantel ab, dann zog sie die gefalteten Papiere aus der Tasche ihres Kleides. Es hatte sie große Überwindung gekostet, sie aus White Ladies mitzunehmen und damit Mr. Todd zu hintergehen. Obendrein machte sie sich vermutlich gleich mehrerer Vergehen schuldig. Zweifelsohne hatte sie es hier mit Beweismaterial zu tun, jetzt war es jedoch zu spät, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Sie musste herausfinden, was auf den Bögen tatsächlich geschrieben stand, bevor sie Vermutungen darüber anstellen konnte, was sich mit ihnen beweisen ließ. Und deshalb musste sie sie entschlüsseln.
    Eine Geheimbotschaft war schön und gut, aber der Inhalt musste für Sender wie für Empfänger verständlich sein; daher war ein Schlüssel unumgänglich. Angenommen, sie hätte diese Nachrichten erhalten, wie würde sie die Texte dechiffrieren? Die vier Seiten schienen keine Übereinstimmungen aufzuweisen - aber stimmte das wirklich? Sie sah sich die Blätter einmal mehr genau an. In der oberen rechten Ecke des ersten Dokuments standen die Zahlen 1, 217, 12, während das zweite die Zahlen 1, 247, 16 aufwies. Auf das dritte und vierte waren die gleichen Zahlenreihen geschrieben: 1, 299, 9 und 4, 412, 24. Was konnten sie bedeuten? Waren sie Teil der Botschaft? Aber warum verwendete man Zahlen statt Buchstaben? Wenn der Schreiber nicht jedes Mal dieselbe Verschlüsselung benutzte, musste er den Schlüssel zusammen mit der Nachricht geliefert haben. Sie studierte die Ziffernfolgen; vielleicht stellten sie ja eine Art Zahlenrätsel dar. Dreimal begann die Reihe mit der Zahl Eins, und dreimal endete sie mit einem Vielfachen von Vier. Konnte das eine Bedeutung haben? Sie addierte die verschiedenen Reihen und auch die ersten, zweiten und dritten Zahlen in jeder Reihe, doch nichts davon bot eine einleuchtende Erklärung. Sie sah sich die Zahlen nochmals an. Wenn es sich nicht um ein Zahlenrätsel handelte, was bedeuteten sie dann?
    »Entschuldigen Sie, Miss. Das Abendessen ist angerichtet, und die Missis lässt fragen, ob Sie herunterkommen?«
    Mary schreckte hoch. »Ach, Peggy, ich habe Sie gar nicht gehört.« Sie spürte, wie sie rot anlief, und machte sich mit gespielter Nachlässigkeit daran, die Papiere zu ordnen. »Ja, ich bin gleich fertig. Bitte sagen Sie Mrs. Tipton, ich komme sofort.«
    »Ja, Miss«, erwiderte Peggy und fragte sich, was an diesem Papierkram so interessant sein konnte. Zweimal hatte sie angeklopft und war dann, weil sie keine Antwort erhielt, ins Zimmer eingetreten, wo sie Miss Finch auf dem Bett sitzend vorfand, allerlei Zettel vor sich ausgebreitet und ins Leere starrend, als wäre sie nicht ganz bei Sinnen.
    »Als wäre sie nicht ganz bei Sinnen«, wiederholte Peggy gegenüber Pollock, der Köchin, während sie sich anschickte, den ersten Gang ins Speisezimmer zu bringen. »Als ich sie da so gesehen hab, is mir das Blut in den Adern gefroren, das sag ich dir!«
    »Und was geschah dann?«, fragte Pollock, die mit dem Schöpflöffel in der Hand wie angewurzelt dastand.
    »Nun ja«, gab Peggy zu, »sie stand auf, schob die Zettel zusammen und kam mit runter.«
    Pollock schürzte die Lippen. Sie hatte einen Verzweiflungsausbruch oder zumindest einen Ohnmachtsanfall erwartet.
    Peggy merkte, dass ihre Geschichte nicht auf die gebührende Aufmerksamkeit stieß, deshalb fügte sie hinzu: »Aber sie war leichenblass, und ich habe noch nie jemanden so unsicher staksen sehen, und gezittert hat sie am ganzen Körper.«
    »Hm.« Pollock rümpfte die Nase. »Pass nur auf, sonst verschüttest du noch die Suppe, vor lauter Zittern am ganzen Körper.«
     
    Mrs. Tipton ging an diesem Abend früh zu Bett, vor allem, weil Mary so wenig gesprächig war. Mrs. Tipton hatte gern das Gefühl, dass ihre Worte Wirkung zeigten, aber Mary schien ihr an diesem Abend noch nicht einmal richtig zuzuhören. Da konnte man sich seine Worte auch sparen und sich schlafen legen. Auch Sir William Armitage

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