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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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Hochbetrieb, und es gab immer einen Bericht zu schreiben. Da er diese Aufgabe hasste, brachte er sie gern schnell hinter sich. Daher nippte er an diesem speziellen Montag an seinem mit einer großzügigen Portion Zucker gesüßten Tee und machte sich seufzend an die Arbeit.
    Schreibtischarbeit entsprach einfach nicht seinem Naturell. Seine bullige Statur und die gebrochene Nase verliehen ihm das Aussehen eines Preisboxers, und ein jähzorniges Temperament hätte das Bild abgerundet, aber dem war nicht so. Die Erfahrungen aus der Polizeiarbeit hatten seine Fähigkeit zu sachlicher Analyse beträchtlich geschärft und ihn zu einer nachdenklichen, ja in sich gekehrten Persönlichkeit gemacht, zumindest was die praktische Ermittlungsarbeit anbelangte. Nichtsdestotrotz hasste er diese verdammten Berichte, und während er daran schrieb, verhärtete sich seine Miene. Vergewaltigung, Raub, eine Straßenschlägerei, die in einer Messerstecherei geendet hatte, Taschendiebstahl: Was für eine schäbige Liste das doch ergab. Vollkommen deprimierend. Trotz aller Bemühungen der Polizei wurden Verbrechen weiter mit derselben traurigen Regelmäßigkeit begangen.
    Ein respektvolles Klopfen trug nicht wirklich zu einem Stimmungswechsel bei. »Ja, herein.« Hudson schrieb weiter und blickte erst auf, als sich seine Bürotür öffnete und einer der Schreiber eintrat. »Was is?«, fragte Hudson. »Ich hoffe, du hast Kohle heraufgebracht - hier drin kann man sich wirklich den Ar …m abfrieren.« Er zog die Stirn kraus, als er den Kraftausdruck verschluckte, aber der Schreiber war ein ältlicher Mann, und Hudson wusste, dass er zu einer jener Sekten gehörte, die Alkohol ablehnten. Daher fühlte er sich verpflichtet, seine Sprache zu zügeln.
    »Da ist jemand für Sie, Sir«, erwiderte der Schreiber in gelangweiltem Ton. »Sagt, er kommt wegen der St.-Lucia-Sache.«
    St. Lucia! Hudson war in den letzten Wochen so beschäftigt gewesen, dass er sein Gespräch mit Jonathan Hicks verdrängt hatte, aber die Erwähnung von St. Lucia brachte die Erinnerung zurück: an Spione, Geheimcodes und den Verlust von brisanten militärischen Informationen. St. Lucia war die Losung, auf die sie sich geeinigt hatten, das Signal, das einer Kontaktaufnahme von Hicks und seinem Partner vorausgehen sollte. Der verdammte Bericht konnte warten! »St. Lucia!«, wiederholte er und warf seinen Stift hin. »Schick ihn herauf, Mann!«
    »Ja, Sir, hier ist er schon. Und ich kümmere mich auch sofort um die Kohle, Sir.«
    Hudson war bereits aufgesprungen und um seinen Schreibtisch herumgegangen. Er hielt jedoch abrupt inne, als sein Blick nicht auf Hicks, sondern auf einen kleinen Mann mit schmalem Gesicht fiel. Seine dunkle Kleidung, das ölig glänzende schwarze Haar und die hellen Augen erinnerten Hudson an eine Ratte. Und die Narbe, welche sich wie ein Schnurrhaar um seinen Mund zog, rundete das Bild ab. »Wer zum Teufel sind Sie?«, fragte er.
    Der kleine Mann bedachte ihn mit einem nervösen, unsteten Blick. »Ich heiße Rede, Sir. Mr. Hicks schickt mich.«
    Die Erwähnung von Hicks’ Namen beruhigte ihn ein wenig, aber Hudson wollte kein Risiko eingehen, da der Mann vor ihm alles andere als vertrauenerweckend aussah. »Wegen der St.-Lucia-Sache?«, wiederholte er.
    »Ganz recht, Sir. St. Lucia.«
    »Wo ist Hicks?«
    »In Suffolk. Aber ich habe Informationen, die für den Fall möglicherweise von Bedeutung sind, und Mr. Hicks meinte, ich soll herkommen und Ihnen geradewegs alles zeigen. Und so bin ich hier.«
    Hudson setzte sich wieder und bedeutete Rede, auf dem Stuhl gegenüber dem Schreibtisch Platz zu nehmen. »Sehr gut, dann lassen Sie mal hören.«
    Rede ließ sich auf den Stuhl sinken, auf dem er dann eher kauerte als saß, immer bereit, sofort aufzuspringen. »Sehr wohl, Sir, ganz recht«, wiederholte er. »Aber meinen Sie, Sie könnten … Ich war die ganze Nacht unterwegs, müssen Sie wissen, und es ist mächtig kalt.«
    »Erzählen Sie mir, was Sie wissen«, sagte Hudson in gereiztem Ton, »und ich werde sehen, was ich tun kann.«
    »Sehr wohl, ich werde Sie nicht länger hinhalten«, befleißigte Rede sich zu versichern. »Hier.« Er zog ein Bündel Papiere aus seinem Mantel und überreichte sie Hudson. Jedes Blatt war mehrfach gefaltet und trug den Abdruck eines schlichten Siegels. Und jeder Bogen umfasste mehrere Zeilen zusammengewürfelter Buchstaben sowie eine Reihe von Zahlen. Sie ähnelten sehr stark den Papieren, die Hicks ihm vor zwei Wochen

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