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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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aber ihr mangelt es an Lebenserfahrung. Und nun kommt sie auch noch unverhofft zu Wohlstand. Nur zu leicht könnte sie von Männern belagert werden, die ihrer unwürdig sind und sich ihr aufdrängen, und...«
    »Ihrer unwürdig« , fauchte ihn Holland an. Dabei funkelten seine Augen wie die Glut im Kaminfeuer. »Was zum Teufel wollen Sie denn damit sagen? Versuchen Sie etwa gerade, mir den Umgang mit ihr zu verbieten?«
    »Aber nicht doch. Ich bin weit davon entfernt, mir solche Freiheiten herauszunehmen.«
    Holland sah immer noch grimmig drein, aber als er weitersprach, schien er beschlossen zu haben, sein Temperament zu zügeln. Er erläuterte, was ihm Mary über das Vererben und den Verlust von Hab und Gut gesagt hatte. Déprez war äußerst überrascht von dieser Wendung ihrer Unterhaltung, und in seltener Freimütigkeit gestanden sich beide gegenseitig ihre Unkenntnis in vielen Rechtsdingen ein sowie ihre Abneigung gegen jene, die sie kannten.
    »Nun«, sagte Holland, »ich habe jetzt die Papiere - eigentlich spielt es doch gar keine Rolle, wo Miss Finch sie gefunden hat. Wenn ihr Onkel in die Sache verwickelt war...«
    »Vielleicht aber auch nicht «, gab ihm Déprez zu bedenken. »Ich gebe zu, der Verdacht gegen ihn wiegt schwer, bewiesen ist jedoch noch nichts.«
    »Aber selbst wenn er tatsächlich etwas damit zu tun hatte, was macht das für einen Unterschied? Schließlich ist er tot. Warum lässt man die Angelegenheit nicht einfach auf sich beruhen? Was auch immer er tat, Miss Finch sollte daraus keinen Nachteil ziehen.«
    Déprez antwortete nicht sofort und machte dann auch nur eine beiläufige Bemerkung. »Wenn er tatsächlich etwas damit zu tun hatte, erhielt er vermutlich eine hübsche Summe für seine Bemühungen.«
    »Eben darüber macht sie sich ja Sorgen«, räumte Holland mit verständnislosem Kopfschütteln ein. »Sie will keinen Nutzen aus seinen Verbrechen ziehen. Aber das ist doch verrückt.«
    »Sie meinen, sie sollte Nutzen daraus ziehen?«
    »Nein, es ist nur dumm von ihr, sich darüber zu grämen, ob sie tatsächlich daraus Nutzen ziehen würde . Ihr Onkel hatte jede Menge Geld, bevor diese ganze Geschichte begann … Er hat geerbt und wollte nichts davon mit seinem Bruder teilen. Das ist schon lange her. Ich glaube nicht, dass er Geheimnisse verkaufen musste, um White Ladies unterhalten zu können.«
    »Das vielleicht nicht.«
    »Dann sind wir also einer Meinung, dass wir Mr. Finch aus der Sache heraushalten?«
    Déprez sah Holland nachdenklich an. »Sie würden … in diesem Punkt Ihre Vorgesetzten täuschen? Das überrascht mich, nach allem, was Sie zuvor über Ihre Pflichten sagten.«
    »Das hat nichts mit meinen Pflichten zu tun«, erwiderte Holland in scharfem Ton. »Es ändert nichts daran, was mit dem Spion passiert, Mary - Miss Finch - dagegen wird es helfen. Und Sie können Somerville bestechen.«
    »Ihn bestechen? « Déprez zog entsetzt die Stirn kraus.
    »Sie wissen, was ich meine - ihm sagen, dass er den Mund halten soll. Er wird tun, was immer Sie von ihm verlangen.«
    Déprez’ Antwort wurde von Mr. Bamford unterbrochen: Die Postkutsche war eingetroffen, und er rief alle Passagiere nach London auf, sich stehenden Fußes nach draußen zu begeben, da auf Nachzügler nicht gewartet würde.
    Déprez stand auf und warf sich rasch den Mantel über. »Ja, schon gut«, sagte er und nickte. »Ich sehe das auch so. Wenn möglich wird man Mr. Finch nicht erwähnen. Nun kommen Sie, wir sorgen besser dafür, dass Sie einen Platz in Fahrtrichtung bekommen, sonst haben Sie keine angenehme Reise.«
    Déprez hatte ganz vergessen, wie kühl es war: nasskalt und ungemütlich. Doch als er den dunklen Hof überquerte, wurde er nur zu deutlich daran erinnert. Der Nieselregen wirbelte durch die Luft und drang bis in jede Falte und Tasche vor. Der aufgewühlte Boden hatte zu frieren begonnen. Die tiefen Wagenspuren und eingefahrenen Furchen erschwerten das Lenken. Die beiden setzten sich als Erste in die Kutsche, und so bekam Holland noch einen Platz in Fahrtrichtung, während Déprez sich ihm gegenüber niederließ. Bald darauf gesellten sich noch zwei Männer zu ihnen: Mr. Allenby, ein beleibter Gentleman mittleren Alters, und ein Bankier mit Namen Jacobson. Während die Pferde ausgewechselt wurden, stellten sich alle einander vor und verstauten hastig ihr Gepäck. Dann rollte die Kutsche in die Nacht davon.
    Die Reiseumstände waren für eine Konversation wenig förderlich, deshalb gaben die

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