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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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Nein, das nehme ich, Miss Finch. Das ist zu schwer für Sie. Gehen Sie einfach vor, und überlassen Sie mir den Rest.«
    Die Straße, eine Mischung aus Sand, Schotter und Laub, wurde nun abgelöst von einem Weg mit großen, an mehreren Stellen gesprungenen Steinplatten, offensichtlich der Überrest eines Hofs. Linker Hand befanden sich ein kleiner Stall und eine lange alte Mauer, die teilweise eingefallen war. Rechts lag das Haus.
    Für den unvoreingenommenen Betrachter erwies sich die Beschreibung von White Ladies als alt und merkwürdig als durchaus treffend. Das Gebäude war rechteckig mit einer langen einstöckigen Vorderseite aus grauem Stein. Am hinteren Teil des Gebäudes war ein zweites Stockwerk zumeist aus Backstein erkennbar. Die Mischung verschiedener Baustoffe sowie die unterschiedliche Dachneigung vermittelten einen sehr ungleichmäßigen Eindruck. Ferner hatte man einige der schmalen Fenster auf der Vorderseite abgedichtet und neue Fallfenster eingesetzt. Zwar brachte diese Veränderung sicher mehr Licht in die Räume, aber sie beschädigte das ursprüngliche Mauerwerk und störte die ehedem harmonische, wenn auch strenge Fassade.
    Mary fielen diese Details kaum auf, weil sie sich mit all ihrer Kraft auf das unmittelbar bevorstehende Treffen mit ihrem Onkel konzentrierte. Als sie sich dem stattlichen Portal mit der massiven Holztür näherten, die von einem Rundbogen eingerahmt war, überlegte sie, wie sie sich vorstellen würde, je nachdem, ob Magd, Diener oder Butler auf ihr Klopfen hin öffneten. Da jedoch niemand erschien, war sie beunruhigt. Auch nachdem sie ein zweites Mal den schweren Türklopfer aus Eisen betätigt hatte, rührte sich nichts.
    »Lassen Sie uns um das Gebäude herumgehen«, schlug Holland daraufhin vor. »Manchmal machen Leute den hinteren Teil des Hauses zum vorderen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Die andere Seite zeigt zum Meer. Vielleicht gefiel Ihrem Onkel oder Großvater der Ausblick dort besser.«
    Während sie liefen, bemerkte Mary einige verwirrende Dinge: draußen keine Bediensteten, zugezogene Vorhänge in der oberen Etage, unten Fensterläden und kein rauchender Schornstein. Auch im modernen Stall im hinteren Teil des Gebäudes gab es keinerlei Hinweise darauf, dass in letzter Zeit ein Pferd oder eine Kutsche dort gewesen waren. Das Cottage daneben schien unbewohnt. Der hintere Hauseingang, den man offenkundig später hinzugefügt hatte, sah in der Tat ein wenig protzig aus. Aber selbst hier war alles still und verschlossen. Mary stieg zum Portal hoch und schlug so kräftig gegen die harte Holztür, dass sie das Gefühl in ihrer Hand verlor. Aber wieder vergeblich.
    Bei all ihren Versuchen, sich die Begrüßungsszene mit ihrem Onkel vorzustellen, hatte Mary mit so etwas überhaupt nicht gerechnet und konnte zunächst nichts weiter tun, als Fragen zu stellen, auf die es keine Antwort gab. »Was kann nur passiert sein? Wo ist das Gesinde? Mein Onkel ist kein junger Mann mehr.Was kann ihn veranlasst haben, sein Haus abzuschließen und noch nicht einmal einen Verwalter anzustellen? Wo kann er hingegangen sein?«
    »Wir werden nach Lindham zurückkehren müssen«, sagte Holland langsam, »und sollten versuchen herauszufinden, was da im Gange ist. Sie können auf meinem Pferd reiten«, fügte er noch hinzu.
    Mary stimmte ihm zu und wusste nicht, ob sie ihm gestehen sollte, dass sie noch nie in ihrem Leben auf einem Pferd gesessen hatte. »Wenn man doch nur irgendwie hineinkäme.«
    »Das geht bestimmt«, meinte Holland und gesellte sich zu ihr. »Wir können einbrechen.«
    Wenn er gedacht hatte, dies schockierte sie, wurde er jetzt enttäuscht, denn Mary tat so, als ob sie dies regelmäßig täte. »Ich glaube nicht, dass Einbruch hierfür der richtige Ausdruck wäre«, fügte sie noch hinzu und runzelte ob der unnachgiebigen Tür die Stirn, »denn wir handeln ohne verbrecherische Absicht.«
    Er starrte sie ungläubig an. Noch nie hatte er jemanden von verbrecherischen Absichten reden hören und schon gar nicht eine Frau. »Nun, Sie sind der Anwalt, Miss Finch, das überlasse ich ganz Ihnen. Da wir nun einmal keinen Schlüssel haben, kenne ich nur einen Weg hineinzugelangen: indem wir ein Fenster einschlagen oder wie immer Sie das nennen möchten.«
    »Ja«, entgegnete Mary nachdenklich. Sie wollte noch etwas hinzufügen, hielt aber inne und fragte Holland dann, ob er wohl die Fenster untersuchen könne. »Man kann ja nie wissen«, merkte sie ermutigend an,

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