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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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aufregend und äußerst ungehörig. Würde sie das wagen? Für einen Augenblick stellte sie sich vor, wie sie »Mein liebster Bobs« schrieb, und spürte, wie ihr Gesicht immer mehr glühte. Aber vielleicht hatte sie ihn auch missverstanden. »Meinten Sie … Ihnen schreiben ? Einen Brief?«
    Er grinste sie an. »Oder eine Bekanntmachung … wenn die Franzosen landen.«
    »O nein«, protestierte sie und lachte. »Vermutlich hat Mr. Hunnable das alles fest im Griff. Bestimmt hat er mit dem Drucker bereits Abmachungen getroffen.«
    »Stimmt«, meinte Holland. »›MÄNNER AUS LINDHAM! AN DIE WAFFEN!‹«
    »›UND DAS HEER DER MIDIANITER LAG UNTEN VOR IHM IM GRUNDE‹«, fügte Mary noch hinzu.
    Mit einem Mal war der Bann wieder gebrochen, und sie sprachen über Woolwich, Indien, Mrs. Bunburys Schule und dies und das. Captain Holland konnte sehr komisch sein, und Mary fiel auf, dass auch das, was sie zu sagen hatte, hörenswert war.Warum hatte sie sich nur Sorgen gemacht, sie könne nichts Nennenswertes von sich geben? So konnte es die ganze Nacht lang weitergehen. Als Peggy jedoch bereits zum dritten Mal hereingekommen war und sie bedeutungsvoll gefragt hatte, ob sie noch etwas wollten, sah Mary sich gezwungen, Gute Nacht zu sagen, obgleich sie überhaupt nicht müde war. Sie wünschte Holland eine gute Reise. Dann fügte sie noch hinzu: »Und … danke nochmals, für alles, was Sie für mich getan haben. Ich bin Ihnen dafür sehr verbunden.«
    Holland blieb stehen, bis sie den Raum verlassen hatte. Als er sich wieder gesetzt hatte, sagte er zu dem Hund: »Was hältst du von alledem, äh? Bin ich clever oder nur ein verdammter Idiot?«

10
    Mary erwachte sehr früh am nächsten Morgen, stand leise auf und setzte sich auf den Fenstersitz in der Ecke ihrer Kammer. In eine Decke gehüllt konnte sie von hier aus auch im schwachen Licht der Morgendämmerung den Hof gut überblicken und beobachten, wer zwischen dem Haus und den Stallungen hin und her ging. Sie war nicht etwa durch ein Geräusch erwacht; sondern vielmehr durch eine Art sechsten Sinn, dass etwas geschehen würde, und jetzt wartete sie gespannt. Ihre Intuition hatte sie nicht getäuscht, denn schon nach kurzer Zeit ging das Tor zu den Stallungen auf, und eine Gestalt im Wintermantel führte ein Pferd nach draußen. Ein zweiter Mann kam vom Haus her und trug eine lederne Reisetasche. Er schnallte die Tasche am Sattel fest und hielt die Zügel, während der andere seine Handschuhe anzog und das Pferd mit dem Schweif hin und her schlug. Es war ein feuchter, frostiger Morgen, und der Atem stieg als weißer Nebel auf, als ob jemand rauchte. Dann übernahm der erste Mann, der größer war als der andere, die Zügel und schwang sich in den Sattel. Der zweite trat einen Schritt zurück und vergrub die Hände in den Taschen.
    Wenn er sich etwas aus mir macht, dachte Mary, dann wird er zu meinem Fenster hochschauen - oder zu einem der anderen Fenster, falls er sich nicht sicher ist, welches meines ist. Sieht er nicht hoch, bin ich ihm gleichgültig, und das werde ich ihm gegenüber dann auch sein. Ich werde mir fest vornehmen, nie mehr auch nur einen einzigen Gedanken an ihn zu verschwenden. Unten wechselten derweil Captain Holland und Mr. Cuff ein paar Worte; Letzterer schien den Weg zu erklären. Nun, das ist in Ordnung, gestand sie ihm zu, und sogar sehr vernünftig; schließlich sollte er wissen, in welche Richtung er reiten muss. Dann wurde das Pferd ungeduldig. Es brach seitwärts aus, und der Captain musste es beruhigen; zweifellos war er gar nicht in der Lage, zu den Fenstern hochzuschauen, während sich sein Pferd so wild gebärdete. Mary beugte sich vor und umschlang ihre Knie; sie fror an der Nasenspitze und kuschelte sich so tief in ihre Decke, dass nur noch die Augen herausschauten. Schließlich sollte er sie nicht sehen, sondern sie nur sehen wollen. Er hatte das Gespräch mit Mr. Cuff nun scheinbar beendet und sein Pferd zur Räson gebracht, und jetzt … und jetzt … und jetzt ritt er auf und davon. Er blickte nicht zurück. Mary wartete noch ein paar Minuten, bis sie seine Silhouette nicht mehr erkennen konnte, dann ging sie wieder zurück ins Bett.
    Ein paar Stunden später machte sich Mary selbst auf den Weg, und zwar nach Woodbridge. Mrs. Tipton begleitete sie. Und dieses Vorhaben war bestens dazu angetan, um wachgerüttelt zu werden. Mrs. Tiptons Kutsche sah nicht so prächtig wie Mr. Somervilles aus und konnte sich anscheinend nur mit Ächzen,

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