Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
Vom Netzwerk:
Bezeichnung »Lehrerin« sich nie zuvor so langweilig angehört hatte. Die »Liebste Susannah« war nie Lehrerin gewesen … und würde sich dazu auch nicht herablassen. Ihr Vater war ja auch Sir William Armitage, unlängst noch im Schatzamt tätig, und sie trug bestimmt an jedem Wochentag ein anderes Kleid.
    Unwillkürlich fasste sie nun den Stoff ihres eigenen Kleides an. Er fühlte sich grob an und war hässlich. Die Unterhaltung zwischen Holland und Mrs.Tipton kam wieder in Gang, aber Mary machte keine Anstalten, daran teilzunehmen. Wie konnte ein Abend, der so gut begonnen hatte, derart betrüblich enden? Sie bezweifelte sogar schon, dass das Gespräch mit Mr. Todd zu ihrer Zufriedenheit verlaufen würde, war doch allgemein bekannt, dass Rechtsangelegenheiten sich in die Länge ziehen und teuer werden konnten. Und wenn sich herausstellen sollte, dass sie nun doch nichts erben würde, wie sollte das dann alles bezahlt werden?
    Schließlich ging Mrs.Tipton zu Bett, aber ihr Weggang ließ zwischen den beiden Zurückgebliebenen eine unangenehme Leere entstehen. Mary fühlte sich durch die Freuden, welche Holland ihrer Ansicht nach in Norfolk erwarteten, minderwertig, während Holland aufgrund der vielen Fragen über Norfolk noch verschlossener als sonst war. Um nicht reden zu müssen und die herrschende Stille erträglicher zu machen, streichelte Mary einen der Hunde. Holland bot sich diese Möglichkeit nicht. Nach ein paar Minuten konnte er jedoch mit seinen Gefühlen nicht mehr hinter dem Berg halten. »Mein Gott, diese Frau kann vielleicht reden.«
    Mary lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, wurde aber von einem aufdringlichen Hundekopf, der sich unter ihre Hand geschoben hatte, gedrängt, mit den Streicheleinheiten fortzufahren. »Ja, sie ist sehr …. direkt.«
    Holland überlegte, ob er es anders nennen wollte, aber stattdessen fragte er: »Sind Sie sicher, dass es Ihnen nicht zu viel wird, hier bei dieser alten Wichtigtuerin?«
    Darauf konnte sie nicht anders, als zu antworten, sie sei ganz glücklich, aber er müsse doch allmählich ungeduldig sein, seine Reise fortzusetzen. Den zweiten Punkt bestritt er, sagte aber, er müsse wirklich gehen, selbst wenn er damit nur Mrs. Tipton einen Gefallen tue, die froh sei, wenn sie ihn nicht mehr zu Gesicht bekäme.
    »Aber nein, Sie irren sich gewiss. Sie hält sehr viel von Ihnen.«
    »Oh!«, spottete er, »Sie meinen wohl, sie denkt jetzt, ich wäre vielleicht doch nicht unter einer Brücke zur Welt gekommen?«
    Diese direkt ausgesprochene Frage durchbrach die Mauer, die Mary aus Höflichkeit aufrechterhalten hatte. Überdies war sie sich bewusst, dass ihre eigenen Vermutungen hinsichtlich seiner Herkunft noch am Vortag nicht die schmeichelhaftesten gewesen waren. »Ich glaube, das ist nur Mrs. Tiptons Art zu sagen, oder zu fragen … was immer ihr in den Sinn kommt«, erklärte sie ihm. »Hoffentlich hat sie Sie nicht gekränkt.«
    Er schüttelte den Kopf, was nur zum Teil eine Lüge war.
    »Nein, das macht mir nichts aus. Was ich meinte, war, mit ihr, Mr. Somerville, Mr. Hunnable und nun auch noch dem Advokaten, sind Sie gut versorgt.«
    »Ja.«
    »Deshalb sollte ich gehen.«
    »Ja.«
    »Man erwartet mich … in Norfolk.«
    »Ja.« Mary befürchtete, ihr Gespräch würde bald nur noch aus Nichtigkeiten bestehen, aber sie wusste nicht, was sie sonst noch sagen sollte. Nur eins war sicher: Sie wollte nicht, dass er ging. Aber das konnte sie natürlich auf gar keinen Fall sagen. Wo er sich doch offensichtlich nichts sehnlicher wünschte, als zu gehen. Wenn sie doch nur etwas Geistreiches zu sagen wüsste, aber sie war niemand, dem es leichtfiel, Dinge zu sagen, die sich nicht dumm anhörten … Sie streichelte also wieder den Hund und hoffte auf eine Eingebung.
    Diese kam jedoch nicht, und das Schweigen dauerte an. »Ich muss gehen«, wiederholte Holland schließlich noch einmal, »aber … wenn doch etwas passieren sollte, ich meine, wenn Sie denken, dass …« Er hielt inne und blickte sie an. Sie erwiderte seinen Blick nicht, aber ihr Gesicht war gerötet, und er wusste, dass sie ihm genau zuhörte. Kurzerhand traf er eine Entscheidung. »Ich werde ungefähr zwei Wochen bei meinem Onkel sein. Das Anwesen heißt Storey’s Court und liegt in der Nähe von Aylsham. Danach kehre ich nach Woolwich zurück.«
    Mary zuckte innerlich zusammen ob der Andeutung, sie könnten möglicherweise miteinander korrespondieren. Ein solches Ansinnen war zugleich schmeichelhaft,

Weitere Kostenlose Bücher