Miss Monster
war die Frau auch bei ihr besonders mißtrauisch, denn sie sprach leise: »Du schläfst ja nicht, du kleine Hexe.«
Fast wäre ihr ein »Doch, ich schlafe« entwischt, aber sie schaffte es, den Mund zu halten.
»Okay, kleine Hexe, okay.« Wiebke hörte am Schaben der Kleidung, daß sich Mrs. Paulsen bewegte. Sie beugte sich zu Wiebke herab und faßte sie dann an.
Zwei ihrer Finger berührten Wiebkes Wange, aber dabei blieb es nicht, denn sie kniffen zu.
Wiebke Crotano stöhnte auf – und öffnete die Augen. Der Druck an ihrer Wange verschwand. Trotzdem glühte der Schmerz weiter nach.
Die Paulsen lachte. Ihr Gesicht schwebte direkt über dem der Schülerin. Es war eine Physiognomie, die viele aus dem Internat abschreckten, einige Lieblinge ausgenommen.
Da konnte die Sonne noch so stark scheinen, wie auch in diesem Sommer, die Haut der Frau blieb stets blaß. Manchmal sah die sogar aus wie gepudert. Zudem trug die Paulsen oft genug dunkle Kleidung, meist Jacken und lange Hosen.
Auch in dieser Nacht hatte sie sich für diese Kleidung entschieden. Da wirkte die weiße Bluse unter der Jacke schon deplaziert. Ihr Gesicht war schmal, ebenso wie der Mund, die Nase, die Augen. Die Ohren waren klein und lagen dicht am Kopf. Das dunkle Haar hatte sie kurz geschnitten und streng gekämmt. Dabei trug sie es wie ein Mann gescheitelt, eine Seite länger.
»Jetzt bin ich bei dir, Crotano.« Immer wenn sie Wiebke mit dem Nachnamen ansprach, war sie besonders schlecht auf die Schülerin zu sprechen.
Miss Monster gab keine Antwort. Noch immer in derselben Haltung lag sie seelenruhig im Bett und schaute der Internatsleiterin entgegen. Wiebke verspürte auch keine Angst, sondern eine gewisse Sicherheit. Sie wußte ja, daß ihr die Paulsen nichts mehr antun konnte, denn sie stand unter einem besonderen Schutz.
»Du warst weg, nicht?«
»Nein!«
Die Frau hob nur die Augenbrauen. Mehr tat sie nicht. Dann atmete sie tief ein. Es schien so, als wollte sie die muffige Luft des Schlafsaals besonders genießen. Für einen Moment schaute sie zur Seite. Ihr Gesicht geriet in das blasse Mondlicht, das die Haut noch durchscheinender aussehen ließ.
»Warum lügst du?«
»Ich lüge nicht.«
Die Frau lächelte eisig. Wiebke kannte dieses Lächeln. Sie haßte es, denn immer wenn sich die Lippen der Direktorin derart in die Breite zogen, lag etwas in der Luft. Dann hatte sie sich entschlossen, gewisse Dinge zu tun, die für die einzelne Schülerin sicherlich nicht positiv waren.
»Wo sind deine Schuhe?«
»Im Zimmer.«
»Tatsächlich?«
»Ja, Sie können hingehen und nachschauen.«
»Das werde ich nicht.« Sie leuchtete direkt in das Gesicht der Schülerin.
»Ich hasse es, wenn man mich anlügt. Ich hasse es wirklich, ich bin einfach sauer, daß du…«
»Lassen Sie mich schlafen!«
Die Paulsen zuckte zusammen. Sie konnte nicht fassen, daß jemand so mit ihr sprach. Sie hielt die Lippen zusammengepreßt, atmete schnaufend durch die Nase, schluckte und bewegte ihre freie Hand auf das Gesicht der Liegenden zu.
Diesmal kniff sie sie nicht. Sie sprach nur sehr leise weiter. »Ich weiß, daß du lügst, verdammtes Scheusal, ich weiß es genau. Ich werde aber nicht unter dein Bett greifen und die Schuhe hervorholen. Ich weiß nur jetzt schon, daß dir noch heute ein besonderer Tag bevorsteht. Darauf kannst du dich verlassen.«
»Stimmt, Mrs. Paulsen. Es wird ein besonderer Tag für mich werden. Aber anders, als Sie es sich vorgestellt haben.«
»So…? Wie darf ich das denn verstehen?«
»Nichts, Mrs. Paulsen.«
Die Rektorin nickte, dann bewegte sie den rechten Arm und ließ den Strahl blitzartig über die anderen Betten huschen, um zu sehen, wie sich die Schülerinnen verhielten.
Einige waren wach geworden, zuckten aber zurück, als der Lichtarm sie streifte.
Mrs. Paulsen fluchte. »Legt euch hin, verdammt, und schließt die Augen! Ihr werdet morgen einen Tag erleben, wie es ihn selten gab, das kann ich euch schwören.«
Keiner wagte den Widerspruch, bis auf Wiebke. »Ja, Mrs. Paulsen, der Tag wird wirklich besonders werden.« Sie lachte leise. »Ich verspreche es Ihnen.«
Auch die Paulsen lachte. Sie leuchtete jetzt neben das Bett, und ihr Gesicht blieb ein blauschwarzer Schatten. »Keine Sorge, meine kleine Freundin, was morgen sein wird, hast du noch nie erlebt. Kennst du Mister Redstone?«
»Ja, er ist ein Schwein!«
Die Paulsen zuckte zurück. »Was hast du gesagt?«
»Sie haben es sehr wohl verstanden. Aber bitte,
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