Miss Pettigrews grosser Tag
junger Mann, vielleicht Anfang fünfzig. Keine Anzeichen von Jahresringen um die Leibesmitte. Hatte sich, wie man so sagt, gut gehalten. Und hielt sich, wie es einem Mann um die fünfzig anstand, wohlweislich bedeckt: untadeliger Abendanzug, strahlend weiße Hemdbrust, Blume im Knopfloch. Imposanter Kopf, mächtiges Kinn, lachlustige Augen, energischer Zug um den Mund, leicht ergraut, geradeheraus, freundliches rotes Gesicht.
Erst schaute er erstaunt, dann verzog sich seine Miene zu einem überraschten, warmen, freundlichen Lächeln von Altersgenosse zu Altersgenossin. Miss Pettigrew starrte ihn gleichermaßen erstaunt an und bedachte ihn ihrerseits mit einem scheuen, zaghaften, zögerlich vertraulichen Lächeln. Sie grüßten einander als Angehörige einer anderen Generation, fanden für einen Augenblick einen gemeinsamen Nenner.
»Guinevere, das ist Angela. Angela, meine Freundin Guinevere.«
Miss Pettigrew betrachtete die junge Frau.
»Guten Abend?«, sagte sie zaghaft.
»’n Abend«, erwiderte Angela gelangweilt in schleppendem, unterschwellig vorwurfsvollem Ton.
Sie war die Erste von Miss LaFosses Freunden, die auf Miss Pettigrew einschüchternd wirkte, und sofort kehrte ihre alte Nervosität wieder zurück. Angela war so furchtbar jung, so schroff, so kalt, so ungemein von sich überzeugt. Sie schien Miss Pettigrews geborgte Pracht mit einem Blick zu durchschauen und das, was sich dahinter verbarg, gründlich zu verachten. Miss Pettigrew errötete ohne rechten Grund und rutschte auf ihrem Stuhl weiter nach hinten.
Angela trug ein flammend scharlachrotes, auf den Leib geschneidertes Kleid, das ihre festen kleinen Brüste, ihren flachen Bauch, ihre schmalen Hüften und die zum Knie schlank zulaufenden Schenkel betonte. Sie hatte matt silbern schimmerndes Haar. Miss Pettigrew konnte die Augen nicht davon lassen: eine Platinblondine in Fleisch und Blut.
»Gefärbt«, befand sie streng und befriedigt. »Im Gegensatz zu dem der lieben Miss LaFosse.«
Angelas Gesicht war eine hübsche, ausdruckslose Maske, perfekt bis ins letzte Detail, aber ohne jedes Leben, das ihm hätte Reiz verleihen können. Große blaue Augen mit langen, geschwungenen Wimpern, gerade Nase, rosiger Teint, der Mund eine anbetungswürdige scharlachrote Rosenknospe, die Lockenfrisur geschniegelt und gestriegelt. Ein vollendetes Meisterwerk an Weiblichkeit, doch da Miss Pettigrew sie nicht der Badewanne hatte entsteigen sehen, enthielt sie sich eines abschließenden Urteils.
Innerlich aufseufzend wandte sie den Blick fort. Welch ein Jammer, dass so ein netter Mann sich von solch einem
Küken einfangen ließ! Jede Frau mit einem Funken Verstand wusste doch, dass diese jungen Dinger nur darauf aus waren, ältere Männer auszunehmen, aber Männer waren nun einmal bekanntlich dumm und um die Lebensmitte besonders anfällig.
Mr. Blomfield und Angela waren offensichtlich intime Freunde.
»Setzt euch doch zu uns«, sagte Michael.
»Wenn wir nicht stören«, sagte Joe.
»Ist uns ein Vergnügen«, sagte Rosie.
»Danke«, sagte Joe.
Angela gab keinen Mucks von sich. Irgendwo hatte sie einmal gehört, zu viel Reden, Lachen und Munterkeit beschleunige den Alterungsprozess. Abgesehen von der Grundüberlegung, dass sie schlicht nichts zu sagen hatte, war sie bei allen Lebensäußerungen vor allem auf ihr Aussehen bedacht.
»Herr Ober«, rief Tony. »Mehr Stühle.«
Ihr Kreis wurde um einen weiteren winzigen Tisch und zwei Stühle erweitert. Die Kapelle spielte erneut auf. Alle erhoben sich und strebten zur Tanzfläche, außer Miss Pettigrew, Miss LaFosse und Michael. Miss Pettigrew zwackte das Gewissen. Beim nächsten Tanz würde sie Miss LaFosse wissen lassen, dass es ihr nichts ausmachte, eine Runde allein auszusitzen. Selbst Joe mühte sich mit reichlich gequälter Miene ab, die zaundürre Angela über das Parkett zu schleifen. Die Musik verstummte. Weiteres heiteres Geplauder. Die Musik setzte wieder ein.
»Sollen wir?«, sagte Tony zu Miss Dubarry.
»Auf geht’s«, sagte Julian zu Rosie.
»Zeigen wir’s ihnen?«, sagte Martin zu Peggy.
Einer nach dem anderen zogen sie ab. Miss Pettigrew sah ihnen ein wenig wehmütig hinterher und hing Gedanken
an ihre verlorene Jugend und verpasste Gelegenheiten nach.
Joe erhob sich. Groß, breit und gewinnend stand er vor Miss Pettigrew.
»Darf ich bitten?«
DREIZEHNTES KAPITEL
1:15-2:03
M iss Pettigrew fuhr zusammen. Sie schnappte nach Luft.
»Meinen Sie mich ?«, fragte sie
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