Miss Pettigrews grosser Tag
ungläubig.
»Wenn Sie mir die Ehre erweisen wollen«, sagte Joe mit einer formvollendeten Verbeugung.
»Welche Schande!«, klagte Miss Pettigrew. »Ich kann nicht tanzen.«
Joe strahlte.
»Ich auch nicht«, sagte er. »Ich tue nur so.«
Seelenruhig zog er sich Tonys freien Stuhl heran, machte es sich neben Miss Pettigrew bequem und stieß einen erleichterten Seufzer aus.
»Zu alt«, sagte er. »Zu viel Bauchspeck.«
»Sie sind aber nun wirklich nicht dick«, wandte Miss Pettigrew ein.
»Der richtige Schneider«, sagte Joe, »und der richtige Gürtel. Trotzdem, die Anzeichen sind da.« Er patschte sich auf den Magen.
»Keine Rede«, sagte Miss Pettigrew unversöhnlich. »Nur ein bisschen Füllmasse. Wenn ich so sagen darf, eine blendende Figur. Etwas reifere Männer dürfen doch gern eine stattliche Erscheinung abgeben.«
»Bin ich denn schon ein etwas reiferer Mann?«, fragte Joe.
»O Gott!«, dachte Miss Pettigrew in wilder Verzweiflung.
»Habe ich ihn jetzt gekränkt? Manche Männer sind ja genauso empfindlich wie Frauen, wenn es um ihr Alter geht. Tut er so, als wäre er noch ein Springinsfeld? Ich muss irgendwas darauf sagen.«
Wieso eigentlich? , schoss es ihr durch den Kopf. Lass alle Vorsicht fahren! Warum sollte sie einem eingebildeten Grauschopf, den sie nie wieder zu Gesicht bekommen würde, Honig ums Maul schmieren? Sie nahm ihn streng ins Visier.
»Ja, das sind Sie«, sagte sie todesmutig, »und da führt kein Weg drum herum.«
»Gott segne Sie, liebe Dame«, dröhnte Joe mit seinem angenehmen Bass. »Freut mich, dass Ihnen das klar ist. Jetzt muss ich mich nicht mehr verstellen und wie ein Zweijähriger durch die Gegend hopsen.«
Er machte es sich auf seinem Stuhl gemütlich.
»Joe.« Angelas schrille, klagende Stimme drang über den Tisch hinweg zu ihnen. »Tanzen wir?«
»Nein«, sagte Joe. »Den lassen wir aus. Meine Füße spielen nicht mit.«
Wenn Blicke Dolche wären, hätten die, mit denen Angela Miss Pettigrew bombardierte, sie gnadenlos durchbohrt. Miss Pettigrew stieg vor Aufregung die Hitze in die Wangen, doch bei aller Beklommenheit empfand sie auch ein geradezu verwegenes Entzücken. Zum ersten Mal in ihrem Leben war jemand eifersüchtig auf sie. Das versetzte sie in eine solche Hochstimmung, dass sie alle Gedanken an Fairness beiseiteschob und inständig hoffte, Joe werde sitzen bleiben. Joe sah sich gleichmütig um. Die Gäste am Nachbartisch strahlten ihn eilfertig an.
»Oh, George!«, rief Joe vergnügt. »Angela will tanzen und ich nicht. Wie wär’s?«
Ein junger Mann erhob sich bereitwillig.
»Das ist nett von dir, Joe. Komm und erweise dich gefällig, Angela.«
Angela war schon auf den Beinen. Sie tanzten davon.
»Ich habe eine Menge Geld«, sagte Joe. »Und ich stelle fest, dass die Menschen sehr willig sind, mir Gefallen zu erweisen.«
»Wie schäbig«, sagte Miss Pettigrew streng.
»George mag Angela«, sagte Joe friedfertig, »und Angela mag George, aber mein Geld mag sie noch mehr. Sie werden sich schon amüsieren.«
Miss Pettigrew wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, also sagte sie nichts.
»Na, na«, ertönte Miss LaFosses fröhliche Stimme, »ihr legt doch nicht schon eine Pause ein. Ich muss mich wundern, Guinevere. Komm, Michael. Vier sind zwei zu viel.«
Sie tanzten davon.
Miss Pettigrew war völlig aus dem Häuschen. Ein Mann hatte ihretwegen einen Tanz ausgelassen. Noch dazu ein solch ansehnlicher Mann! Und ohne zwingende Umstände. Er hatte es selbst so gewählt. Und sogar wenn er es nur aus Höflichkeit tat, war es doch eine reizende Geste. Ihr Gesicht glühte vor Dankbarkeit.
»Haben Sie vielen Dank«, sagte sie. »Es ist sehr freundlich von Ihnen, sich zu mir zu setzen. Ich hatte schon Angst, dass ich Miss LaFosse den Abend verderbe. Sie wollte mich nicht allein hier sitzen lassen. Jetzt kann sie wenigstens einen Tanz mitmachen.«
»Freundlich«, sagte Joe schmunzelnd. »Meine liebe Miss Pettigrew, das Vergnügen ist ganz und gar auf meiner Seite. Sie ersparen mir entzündete Fußballen und stechende Hühneraugen. Ich bin mit Füßen geboren, die nur für ein Gewicht
von sieben Pfund gedacht sind. Alles andere an mir ist zu sehr ins Kraut geschossen.«
Miss Pettigrew belächelte den milden Scherz. Die Unterhaltung machte sie ein wenig nervös. Sie war es durchaus nicht gewöhnt, mit fremden Männern unter vier Augen Konversation zu betreiben, und wusste nicht, was sie sagen sollte, doch bald stellte sie fest, dass ihre
Weitere Kostenlose Bücher