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Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman

Titel: Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Tausch
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Laterne erhellten spärlich die Umrisse des
Gebäudes. Es war acht Uhr abends. Noch eine Stunde. Mindestens. Planlos stand ich im Dämmerlicht der leeren Gasse. Langsam kroch wieder die kurzzeitig abhandengekommene Euphorie in meinen Geist zurück. Was für ein Tag! Was für eine Frau! Was für ein lange vermisstes Gefühl!
    Ich holte das Handy heraus und wählte eine Nummer. Als ich schon fast wieder auflegen wollte, meldete sich jemand am anderen Ende.
    »Alois!«, schrie ich in den Hörer. »Alois, ich bin’s! Du wirst es nicht glauben - aber ich habe mich verliebt!«

14.
    Was ist ein guter Start? Wenn ein Marathonläufer auf den ersten Kilometern allen davonläuft, sich aber nach einer halben Stunde schon völlig verausgabt hat, liegen seine Chancen auf den Sieg bei null. Ein langsamer Beginn kann also auch Vorteile haben.
    Doch genau genommen war jede Betrachtung des Sachverhalts überflüssig. Mein Problem: Ich war bereits in der Qualifikation mit einem Krampf zu Boden gesunken und damit vom Wettkampf ausgeschlossen.
    Endgültig? Endgültig! Das meinte zumindest Minh, mit dem ich die Angelegenheit am nächsten Tag aufgeregt diskutierte. Bevor wir uns in der Mittagspause zur Lagebesprechung zurückziehen konnten, glich mein Tag allerdings einem Spießrutenlauf. Die meisten Mitarbeiter der Firma hatten außerhalb ihres Jobs keinerlei Kontakt zu Ausländern. Der Status eines Außerirdischen war mir also schon qua Herkunft ins Gesicht gemeißelt - und dieses wurde nun auch noch von einer kartoffelgroßen Bandage verziert. Kurz: Ich war das perfekte Objekt der Neugier und Spekulation.
    Gerüchte verbreiten: wäre das eine olympische Disziplin, würde Vietnam darin reihenweise Medaillen abräumen. Wenn der Gossip-Alarm schlägt, bleibt nicht mehr viel Zeit zur Gegenoffensive, denn das Gerede erstarrt binnen weniger Stunden zu öffentlich anerkannten Wahrheiten.

    So kam es, dass ein Großteil der Kollegen voller Überzeugung Folgendes über mein Leben zu berichten wusste (eine kleine Auswahl):
    ★ Nick wird in Europa von der Polizei gesucht und ist deshalb nach Vietnam entfleucht.
    ★ Nick hat in Deutschland Frau und Kind, um die er sich jetzt aber nicht mehr kümmert.
    ★ Nick hat die Buchhalterin, die letzte Woche so überraschend gekündigt hat, geschwängert.
    ★ Dabei sind doch Nick und die Chefsekretärin eigentlich ein heimliches Paar.
    Und nun also noch der Verband auf der Nase. Für meine Ankunft im Büro hätte ich Eintrittsgeld nehmen können, überall reckten sich Hälse, wurde leise getuschelt und unterdrückt gelacht. Schnell platzierte ich an strategisch wichtigen Positionen des Gerüchtenetzwerks das Wort »Motorradunfall«. Auch Jürgen tischte ich eine dünne Geschichte auf. Nur Minh zog ich ins Vertrauen.
    »Oje! Oje! Oje!«
    »Was, Minh?«
    »Das ist gar nicht gut!«
    »Was denn?«
    »Oje! Oje! Oje!«
    »Meinst du den Hund?«
    »Nein.«
    »Dann meinst du die Frau?!«
    »Oje! Oje! Oje!«
    Das Gesicht verlieren. Für einen Asiaten ja angeblich so etwas wie die Höchststrafe. Was sich genau dahinter verbirgt, ist schwer zu definieren. Häufig geht es um das Problem, eigene
Fehler oder Unwissenheit einzugestehen - oder anderen eine unangenehme Wahrheit zu überbringen.
    »Sag schon, Minh!«, fuhr ich ihn barsch an. Mittlerweile war ich von seinem Gejammer leicht genervt. Er fummelte an einem Faden herum, der aus seinem Hemdsärmel lugte, und sagte dann erstmals einen zusammenhängenden Satz.
    »Vietnamesische Frauen sind sehr kompliziert.«
    »Auf der ganzen Welt sind Frauen kompliziert«, konterte ich.
    »Das verstehst du nicht. Du verstehst sie nicht. Du kannst sie gar nicht verstehen!«
    »Wieso? Ich bin ein Mann. Sie ist eine Frau. Alles andere kommt mit der Zeit. Wo ist das Problem?«
    Endlich sprach Minh voller Eifer:
    »Du weißt nichts über sie. Über ihre Motivation. Vielleicht will sie nur dein Geld. Vielleicht leben ihre Eltern auf dem Land und sind darauf angewiesen, dass ihre Tochter jeden Monat möglichst viel schickt. Oder sie ist eine von denen, die davon träumen, im Westen zu leben. Dafür spielt sie dir dann gerne ein Leben lang die große Liebe vor. Es kann auch sein, dass sie sich mal aus Naivität mit einem Ausländer eingelassen hat. Dann sind jetzt ihre Chancen bei vietnamesischen Männern verschwindend gering - denn die wissen, dass sie wohl kaum noch unberührt ist. Und damit hat sie nur noch die Möglichkeit, sich wieder einen Westler zu angeln, egal, ob sie was für

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