Miss Seeton kanns nicht lassen
und nun ist sie ein bißchen in ‘ne Sackgasse geraten und findet nicht mehr raus. Ich konnte ihr auch nicht viel helfen, aber vielleicht versuchst du mal, sie da rauszulocken?«
»Niemand zu Hause?«
Miss Seeton öffnete die Küchentür und blickte in den Flur. »Oh – das ist aber nett. Bitte entschuldigen Sie, aber meine Tür hier war zu, da habe ich Sie nicht gehört. Ich mache gerade Kaffee, trinken Sie eine Tasse mit?«
»Ich? Wahnsinnig gern.« Anne war es nicht ganz wohl bei dem Auftrag ihres Vaters. Leicht gesagt: >Versuch du mal, sie da rauszulocken< – aber wie machte man das? Miss Seeton war viel zu vernünftig, um sich irgendwelche nichtvorhandenen Krankheiten einzubilden. Und wenn es mit einer Zeichnung zusammenhing, die sie nicht fertigbrachte oder nur halb fertigbrachte, dann lag das vielleicht an der Zeichnung selbst. Am besten sah man sich das Bild einfach mal an, dann konnte man eher was sagen. Aber wie konnte man darum bitten, ein Bild sehen zu dürfen, von dem man eigentlich gar nichts wissen sollte, und dann die Künstlerin beruhigen, wo man doch im Grunde von Kunst überhaupt nichts verstand?
Anne nahm Miss Seeton das Tablett ab und trug es ins Wohnzimmer. Miss Seeton schenkte ein.
Anne rührte mit dem Löffel in ihrer Tasse. Ohne Umschweife drauflos, das war sicher das beste. »Ich – eh… vielmehr mein Vater…« Sie hielt inne, und Miss Seeton sah sie fragend an. »Sie waren doch heute morgen bei meinem Vater, nicht wahr?« Miss Seeton blickte sie erstaunt an, und Anne fuhr eilig fort: »Nein, nein, er hat mir natürlich nichts gesagt, das würde er nie tun. Aber ich bin doch seine Sprechstundenhilfe, und darum… Er meinte…. äh… Sie wären nicht so recht zufrieden gewesen mit seiner Diagnose, und darum hat er mich zu Ihnen geschickt. Vielleicht kann ich Ihnen helfen.«
»Ach – das ist wirklich sehr freundlich von Ihrem Vater, sich so viel Gedanken zu machen. Aber, Miss Knight – ach nein, wie werden Sie genannt: Schwester –? Ich weiß das nie so richtig.«
»Am liebsten wäre mir, Sie nennen mich Anne«, entgegnete ihr Gast lächelnd. »Es hängt mit den Zeichnungen zusammen, ja?«
»Ja, zum Teil schon.« Ogottogott, wie schwierig es war, das zu erklären. »Sehen Sie, mein rechter Arm – nein, eher die rechte Seite, die Seite des Bildes – die will einfach nicht. Ich krieg und krieg sie nicht hin. Deshalb dachte ich, rechts ist irgendwas nicht in Ordnung. Mit dem rechten Arm, meine ich.« Sie dachte nach. »Vielleicht habe ich mich nicht ganz klar ausgedrückt.«
Anne lachte. »Na ja, besonders klar nicht. Aber das ist doch alles schon ein paar Tage her, oder? Sie sind seitdem in London bei Scotland Yard gewesen und haben dort eine Zeichnung gemacht, und die war ganz prima. An Ihnen kann es also nicht liegen.«
»Ach, die war ja noch schlimmer«, beteuerte Miss Seeton und brach dann ab. Ob man darüber reden durfte…? Und woher wußte Miss… wußte Anne das eigentlich?
Anne erkannte, was die alte Dame beschäftigte. »Jeder im Dorf weiß, daß die Polizei nach Ihnen geschickt hat. Das ist das Gespräch des Tages.«
»Dumm von mir«, meinte Miss Seeton. »Ich hatte gar nicht überlegt, daß jemand davon Notiz nehmen könnte.«
»O doch, es kursieren die abenteuerlichsten Vermutungen, daß ich gestern abend einfach Bob anrief und ihn fragte, was denn nun wirklich los sei. Er hat mir natürlich nichts gesagt -Sie wissen ja, wie die Polizeileute sind: wie Löschpapier. Alles saugen sie auf, aber nichts geben sie weiter.«
»So wichtig war es auch gar nicht« erklärte Miss Seeton. »Alles, was sie wollten, war eine Art Porträtskizze, weil sie kein Foto hatten.«
»Ich weiß gar nicht, was Sie wollen«, beharrte Anne, »es war doch großartig. Bob hat mir erzählt, sie seien alle wild begeistert von dem, was Sie da gezeichnet haben, und das Orakel – ich meine Superintendent Delphick – findet, Sie wären der größte Künstler seit Rembrandt, und soviel ich weiß, hält er Sie sogar für noch größer.«
»Aber ich…«
»Nichts aber. Tatsache. Irgend etwas an Ihrer Zeichnung hat die Polizeileute auf eine Spur gebracht, und jetzt sind sie alle emsig dabei, die Spur aufzunehmen.«
Miss Seeton spreizte hilflos die Hände. »Ich…. also das verstehe ich nicht.«
»Haben die Ihnen denn etwa gar nichts gesagt?« Fünfundzwanzig Jahre Lebenserfahrung gaben Anne das Recht zur Empörung. »Typisch Männer. Unmöglich.« Sie stellte die Tasse hin. »Bitte, Miss
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