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Miss Seeton und der Hexenzauber

Titel: Miss Seeton und der Hexenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heron Carvic
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selbst die Stürme?
    Miss Seeton stand auf und ging in die Küche. Sie hatte  Martha versprochen, auf den Leinensack mit dem Gelee aufzupassen. Offenbar neigten Schnur und Beutel dazu, sich in der ersten Stunde zu dehnen, und man mußte eventuell alles ein Stückchen höher hängen. Ja. Martha hatte recht gehabt. Der Sack hing schon tiefer und berührte beinahe die Schüssel. Miss Seeton ging hinüber zum Fenster, legte das Rundschreiben des Zeitungsservice neben die Spüle, streckte die Arme nach dem alten Fleischhaken aus, der an dem Balken über der Schüssel befestigt war, und hob die Schnur an. Liebe Güte, war das schwer, und – sie betrachtete zufrieden die Flüssigkeit, die in die Schüssel getropft war – das Gelee hatte eine wundervolle Farbe, ein sattes Weinrot. Man glaubte immer, Brombeergelee müsse fast schwarz sein, aber Martha hatte erklärt, das wäre es nur, wenn man es zu lange gekocht hatte. Miss Seeton gelang es, den Sack ein wenig höher zu hängen. Sie trat einen Schritt zurück, um ihr Werk zu bewundern. Sie würde sehr viel mehr Gelee haben, als sie erwartet hatte. Hatte sie alles so gemacht, wie Martha es ihr aufgetragen hatte? Ja, der Beutel hing nach wie vor direkt über der Schüssel, schwang aber ein wenig hin und her. Miss Seeton hielt ihn fest. Und die Flüssigkeit tropfte gemächlich weiter. Martha hatte gesagt, je langsamer der Saft tropfte, um so besser würde die Marmelade. Also war alles in Ordnung, und sie brauchte sich keine Gedanken mehr zu machen. Sie konnte alles bis morgen so lassen, wie es war. Ihr Blick fiel wieder auf das Rundschreiben. Lächerlicher Unfug – und, wenn man genauer darüber nachdachte, ziemlich unverschämt. Sie nahm das Kuvert, trat mit dem Fuß auf das Pedal des Abfalleimers und ließ die Papiere hineinfallen. Wie albern, anzunehmen, daß sich andere Leute mit ihren Angelegenheiten befaßten. Als ob die nichts Besseres zu tun hätten!

    Gekleidet in schwarze Hosen und Pullover schlichen sie auf den leisen Sohlen ihrer Turnschuhe durch die Nacht.
    Voller Enthusiasmus und beseelt von ihrer eigenen Rechtschaffenheit hatten Miss Nuttel und Mrs. Blaine ihre Mission in Angriff genommen und sich darauf vorbereitet, ein ungeheures Wagnis einzugehen. Sie wollten in der Dunkelheit die nächtlichen Übeltaten ergründen, um sich und ganz Plummergen zu beweisen, daß sie beide die wahren Größen waren, die allen Respekt verdienten.
    Wenn sie den Feind in ihrer Mitte ausgekundschaftet hatten, würde sich zeigen, wer der Missetäter war, und sie könnten sich rühmen, das Dorf vor drohenden Gefahren gerettet zu haben. Sie krochen vorsichtig, aber unaufhaltsam weiter, duckten sich hinter die Hecke und spähten über die obersten Äste, dann faßten sie Mut und schoben das Gartentor ein Stückchen auf. Es quietschte in den Angeln.
    »Eric, was sollen wir tun?« keuchte Mrs. Blaine. »Es quietscht.«
    »Wir stoßen es auf und laufen schnell durch«, empfahl Miss Nuttel.
    Gesagt, getan. Das Tor quietschte wieder, aber sie waren im Garten und huschten zu je einem Vorderfenster von Miss Seetons Cottage. Sie spähten ins Haus, erhielten aber keine Aufschlüsse; der Schein der Taschenlampen zeigte nur die Reflexionen ihrer verängstigten Gesichter in den dunklen Scheiben. Sie strengten sich ein wenig mehr an und sahen vollkommen harmlose, menschenleere Zimmer.
    Auf Zehenspitzen umrundeten sie das Haus, linsten durch die Terrassentür – nichts. Als sie zum Küchenfenster kamen, drückten sie sich ganz nah heran. Sie leuchteten mit ihren Taschenlampen und preßten fast die Nasen an die Scheibe. Vier Augen wurden starr vor Entsetzen. Über dem Spülbecken hing ein monströses, in weißes Leinen  gehülltes Ding – ein Kopf ohne Rumpf. Er hing reglos in der Dunkelheit, und während sie das Gebilde in atemloser Faszination betrachteten, formte sich ein Tropfen unterhalb des Sacks, wurde größer und fiel. Der glitzernde, rubinrote Tropfen platschte in eine Schüssel, die schon halb gefüllt war – mit Blut … Der Kopf eines Babys! Er hing von dem Balken, und noch tropfte das Blut. Das Elixier der Hexenkraft – das Blut eines Neugeborenen, ein unverzichtbarer Bestandteil ihrer grausigen Rituale. Zwei Münder wurden zu einem
    lautlosen Schrei aufgerissen, zwei Gesichter zuckten zurück, eine Taschenlampe fiel scheppernd auf den Boden. Stolpernde, hastige Schritte, entsetztes Keuchen, das Rascheln von verdorrten Blumen und Blättern, die quietschenden Torangeln, das

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