Miss Seeton und der Hexenzauber
der Ansicht, daß Miss Seeton Kenntnisse besaß, die ihnen gefährlich werden konnten, also war dieser unterirdische Gang vielleicht auch von großer Bedeutung für die Organisation. Oder ging es ihnen nur um die Kirche?
Augenscheinlich hatten sie das eine Bild von der Kirche – das den Bau bei Tag zeigte – gestohlen. Aber woher wußten sie von ihrem unterirdischen Abenteuer oder dem Bild? Miss Seeton selbst behauptete steif und fest, daß sie bei ihrem ersten Ausflug ans Meer ganz allein gewesen sei und daß ihre Zeichenmappe bereits geschlossen war, als Lady Colveden sie abgeholt hatte. Niemand, dessen war sie sich sicher, konnte das Bild gesehen haben.
»Sie haben bei dieser Gelegenheit niemanden gesehen?
Keinen einzigen Menschen? Niemand ist zufällig
vorbeigekommen?«
»Niemand, Superintendent, dawar kein Mensch. Außer, natürlich, das Mädchen.«
Endlich. Noch mehr Fragen. Sie habe das Mädchen bei der Nuscience-Versammlung wiedergesehen. Und seither – war sie der jungen Frau noch einmal begegnet? Nein. Ganz sicher? Ziemlich sicher. Obwohl sie den Eindruck habe, sie wohne im Dorf. Delphick erinnerte sich an die Schönheit, die beim Frühstück im George and Dragon ganz allein an einem Tisch gesessen hatte. Prima. Es konnte kein Problem für ihn darstellen, ihren Namen herauszufinden und anzuordnen, daß Nachforschungen über ihre Vergangenheit angestellt wurden. Welche Verbindung könnte das Mädchen zu der Kirche haben? Er dachte lange nach.
»Könnten Sie uns die Vorgänge bei diesem sogenannten Gottesdienst von letzter Nacht schildern?«
Miss Seetons Hände bewegten sich unruhig; ihr Gedächtnis war wie ausgelöscht. »Da war nichts weiter, Superintendent, als das, was ich Ihnen bereits erzählt habe.
Es war so wenig Licht, und mir erschien die Veranstaltung ziemlich kindisch. Und dann ging alles so schnell. Eine Frau schrie ganz laut, und die andern rannten weg. Ich bin sicher, Mr. Foxon kann Ihnen genauere Auskünfte geben als ich.«
Delphick hörte ihr gar nicht zu. Er beobachtete wie gebannt ihre rastlosen Hände. Er lächelte und stand auf.
Miss Seeton wollte es ihm gleichtun. Lachend hielt er sie zurück. »Nein, Sie bleiben, wo Sie sind; ich habe eine Bitte an Sie. Haben Sie Papier in Ihrer Mappe? Gut. Und bunte Stifte?« Sie fanden Ölkreide in der Schublade des Pults. »Ich werde von Mr. Jessyps Telefon aus ein paar Gespräche führen – unter anderem werde ich jemanden bitten, diesen Tunnel ausfindig zu machen –, und ich möchte, daß Sie währenddessen hier sitzen bleiben und über die letzte Nacht nachdenken. Wenn Ihnen irgend etwas in den Sinn kommt – egal, was es ist oder wie töricht es Ihnen vorkommt –, dann zeichnen Sie es auf.«
Er postierte Bob auf eine Bank in der Nähe der Tür hinter Miss Seeton und verließ das Klassenzimmer.
Bob saß da und wartete so leise, wie es sein knurrender Magen, der schon die halbe Mittagszeit verpaßt hatte, zuließ. Soweit er es beurteilen konnte, machte Miss Seeton gar nichts. Wenn sie sich nicht ranhielt, würden sie überhaupt kein Mittagessen mehr bekommen; die Kinder würden in ihre Klasse stürmen und wären erstaunt, daß sie hier zu zweit dumm herumhockten. Er beobachtete, wie sie eine Kreide in die Hand nahm, damit spielte, dann legte sie sie wieder weg. Sie suchte sich eine andere aus und malte ein paar zaghafte Striche aufs Papier. Mit einemmal fing sie richtig an zu fuhrwerken, strichelte und kritzelte schnell und war ganz auf ihr Tun konzentriert.
Bob registrierte am Rande, daß das Orakel wieder erschien und auf der Schwelle stehenblieb, Miss Seeton zusah und wartete. Schließlich war sie fertig, legte die Kreide auf den Tisch und lehnte sich zurück, um sich ihr Werk
anzusehen. Offenbar gefiel es ihr nicht. Sie nahm das Papier und machte Anstalten, es zu zerreißen. Das Orakel war mit zwei raschen Schritten bei ihr und nahm die Zeichnung an sich. Miss Seeton war in heller Aufregung.
»Tut mir leid, Superintendent. Es ist nicht gut. Ich habe da wohl einiges durcheinandergebracht. Ich habe versucht, einen Eindruck von letzter Nacht festzuhalten, aber irgendwie sieht das alles eher aus wie diese Versammlung in Maidstone. Ich vermute«, schloß sie niedergeschlagen, »das liegt daran, daß diese beiden Ereignisse gleichermaßen töricht waren.«
Bob spähte über die Schulter seines Chefs und kicherte leise. Das war schon eher was. Viel besser als dieses düstere Gemälde von der Kirche. Entschlossene,
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