Miss Seeton und der Hexenzauber
Seeton mußte das alles falsch verstanden haben.
Allein der Gedanke, daß Merilee eine Hexe war und bei diesem verrückten Gottesdienst …
Delphick fiel ihm ins Wort: »Schweigen Sie, Mr. Colveden. Wir müssen die Wahrheit erfahren, ob sie Ihnen gefällt oder nicht, wenn wir etwas über ihren Verbleib herausfinden wollen. Erzählen Sie weiter, Miss Seeton«, ermutigte er sie.
Miss Seeton wirkte bedrückt. Ihr Blick schweifte durch das Zimmer, als hoffe sie auf eine Eingebung. Sie betrachtete eine Weile den Schreibtisch, wandte sich aber schuldbewußt ab, als sie sich an das Bild erinnerte. Sie konnte nicht … nein, das konnte sie wirklich nicht. Und erst recht nicht, solange Nigel hier war. Das wäre unrecht.
»Es wäre wirklich besser, wenn Mrs. Paynel selbst mit Ihnen sprechen würde.«
Delphick preßte die Lippen zusammen. Nach einer Weile sagte er: »Ich denke, wir müssen als gegeben hinnehmen, daß sie das nicht kann.« Wie kam es nur, daß diese kleine absonderliche Frau allen immer einen Schritt voraus war, obwohl sie sich kein bißchen darum bemühte?
Sie verschwieg etwas. Warum? Weil der Junge hier war?
Und diese verstohlenen Blicke auf ihren Schreibtisch bedeuteten, daß sie etwas gemalt hatte, dessen war er sich sicher. Vielleicht könnte das mehr Klarheit in die Angelegenheit bringen als sie selbst. »Kommen Sie«, ermahnte er die alte Dame, »Sie verschweigen uns etwas.
Was könnte sowohl für Sie als auch für Mrs. Paynel eine Gefahr darstellen? Und jede Zeichnung« – er bedachte sie mit einem anklagenden Blick-, »ist jetzt Eigentum der Polizei.« Er lächelte. »Denken Sie daran, Sie haben einen Vertrag unterschrieben.«
Widerstrebend erhob sich Miss Seeton und ging zum Schreibtisch, um Delphick das Aquarell zu übergeben.
»Ich glaube nicht, daß das hilfreich ist, Superintendent; es ist so … so ganz anders als das, was ich eigentlich malen wollte.«
Nigel gesellte sich zu ihnen. »Aber das ist ja die Puppe!« rief er, dann stutzte er. Aber es war auch Merilee. Eine Merilee, wie er sie nicht kennengelernt hatte. Aber sie war es. Er sah die Puppe wieder vor sich, wie sie auf dem Altar gelegen hatte, und ihn beschlich dasselbe mulmige Gefühl.
Delphick hatte die verstümmelte Puppe im Polizeipräsidium gesehen. Die Puppe? So ganz anders als das, was ich eigentlich malen wollte? Und Mrs. Paynel hatte zugegeben, an dieser schwarzen Messe teilgenommen zu haben. Er ging zum Telefon. Brinton war im Dienst und versprach, den nächsten Streifenwagen sofort zur Kirche in Iverhurst zu schicken. Delphick rief Bob an und forderte ihn auf, unverzüglich den Wagen zu Miss Seeton zu bringen. Nigel stürmte aus dem Haus.
Merilee Paynel lag, wie vor ihr die Puppe, auf dem Altar. Der goldene Umhang hing bis auf den Boden, und das schillernde Ballkleid war vom Hals bis zum Saum aufgeschlitzt. Darunter war ein unpassender Strumpfhalter aus grüner Schlangenhaut zu sehen. Die aufgeschnittene Kehle, der geronnene Blutstrom, der verstümmelte Leichnam, das verkehrte Kreuz, das in die Haut auf Bauch und Brust geritzt war – nichts davon konnte der Würde des ewigen Friedens etwas anhaben.
Dr. Knight, der für den im Urlaub befindlichen Polizeipathologen eingesprungen war, richtete sich auf, nachdem er die Leiche untersucht hatte, und Chief Inspector Brinton, der in einem Ambulanzwagen zur Kirche gerast war, gab seinen ersten Kommentar ab.
»Also schön, das ist wieder ein rituelles Opfer.«
»Meinst du, Chris? Sicherlich wollen sie uns das glauben machen.« Delphick trat zurück, um den Männern von der Spurensicherung das Feld zu überlassen.
»Was soll das sonst sein?« fragte Brinton.
Dr. Knight machte seine Arzttasche zu und folgte zusammen mit Sergeant Ranger Brinton und Delphick durch den Mittelgang. Trotz der Abgestumpftheit, die ein langes Berufsleben mit sich brachte, waren alle vier Männer aufgebracht und zornig. Vor dem Portal entbrannte ein stimmgewaltiger Streit. Als er Nigels Stimme erkannte, bellte Delphick: »Um Gottes willen, sorgt dafür, daß der Junge draußen bleibt.«
Bob sprintete los. Nigel rang mit den beiden Streifenpolizisten, die als erste am Tatort angekommen waren. Bob eilte ihnen zu Hilfe.
»Schon gut, laßt ihn los.«
»Ist sie …?« keuchte Nigel. Er schluckte und versuchte es noch einmal: »Ist sie …?«
»Bitte, Mr. Colveden, Sie können hier nicht das geringste tun. Wenn Sie jetzt bitte nach Hause fahren würden … wir treten mit
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