Miss Seeton und der Hexenzauber
Frauen heutzutage waren ebenso geneigt wie die jungen Männer, eine ganze Nacht wegzubleiben. Und daß diese Mrs. Paynel letzte Nacht nicht zurückgekommen war, ging ihn nichts an. Ihre Sachen befanden sich noch im Zimmer, und sie würde es ihm bestimmt nicht danken, wenn er die Katze aus dem Sack ließe und überall herumerzählte, daß sie in der Nacht auf Achse gewesen war. Er würde dem jungen Mr. Nigel gern helfen, wenn er könnte, aber er wollte sich keine Verleumdungsklage oder so was einhandeln.
Delphick kam in die Gaststube, um zu Mittag zu essen, und Nigel bestürmte ihn: Mrs. Paynel wurde vermißt, ob die Polizei nicht …? Der Superintendent hatte auch das Gefühl, daß es nicht seine Angelegenheit war, wenn Mrs. Paynel eine Verabredung zum Essen nicht einhielt.
Andererseits hatte er durchaus berufliches Interesse an ihrem Verbleib, da sie zu dem verdächtigen Personenkreis gehörte. Er befragte den Wirt, der sich den Behörden gegenüber zugänglicher zeigte. Nein, Mrs. Paynel war letzte Nacht nicht zurückgekommen, und ihr Bett war unberührt. Nein, sie hatte nichts davon gesagt, daß sie wegbleiben würde, und ihr Auto stand ja auch noch in der Garage. Mrs. Paynel war ganz gewiß nicht im Haus gewesen, als er um Mitternacht abgesperrt hatte und ins Bett gegangen war, aber sie hatte einen Schlüssel und konnte kommen und gehen, wann sie wollte.
Nigel protestierte: Aber sie war schon weit vor zwölf zurück gewesen. Sie hatte Kopfschmerzen gehabt, deshalb hatten sie den Ball früh verlassen, und er selbst hatte Mrs. Paynel vor der Tür vom George and Dragon abgesetzt. Sie mußte, behauptete er entschieden, ins Haus gegangen sein. Delphick kam ins Grübeln. Eine eigenartige Sache. Wohin hätte sie um Mitternacht ohne Auto gehen können? Soweit er wußte, kannte sie niemanden im Dorf. Er fragte Nigel danach. Nein, er glaubte auch nicht, daß sie jemanden kannte – außer ihn selbst, seine Eltern und natürlich Miss Seeton. Miss Seeton? Nigel erklärte, daß sich Miss Seeton am gestrigen Abend bei ihm zu Hause aufgehalten hatte, als sie zu dem Ball aufgebrochen waren. Miss Seeton? Delphick überlegte. Mrs. Paynel hatte dieses erste Bild von der Kirche am Strand gesehen. Hatte sie jemandem von Nuscience davon erzählt? Er warf einen Blick durchs Fenster auf Sweetbriars. Er sah keinen Grund … Es war unwahrscheinlich. Vielleicht sollte er sich doch lieber vergewissern. Er überquerte die Straße. Nigel folgte ihm.
Miss Seeton, die ihr Mittagessen unterbrochen hatte, strengte sich auf ihre eigene Art an, behilflich zu sein.
Aber ja, Mrs. Paynel hatte sie letzte Nacht besucht. Hatte Mrs. Paynel von der Kirche gesprochen? Miss Seeton sah Nigel verlegen an und gestand: Ja, das hatte sie.
Genaugenommen hatte sie zugegeben, bei diesem Gottesdienst gewesen zu sein, was, so setzte Miss Seeton eilends hinzu, so gar nicht zu ihr paßte. Hatte Mrs. Paynel den Grund für ihren Besuch genannt?
»Gefahr«, erwiderte Miss Seeton.
»Gefahr für wen?« erkundigte sich Delphick scharf.
»Na ja, sie sprach von einer Gefahr, die mich bedrohe, was, wie ich deutlich machte, kompletter Unsinn ist. Aber sie sagte auch, daß sie selbst möglicherweise in Gefahr sei.« Miss Seeton hielt erstaunt inne. »Aber, Superintendent, haben Sie sie denn heute noch nicht gesehen? Sie wollte mit Ihnen über all das sprechen.«
»Worüber?«
»Nun, sie erwähnte, daß sie in Gefahr sein würde, wenn sie mich warnt.«
»Wovor?« bohrte Delphick weiter.
Aber in diesem Punkt konnte Miss Seeton ihm nicht weiterhelfen, da sie selbst nicht genau wußte, wovor man sie gewarnt hatte.
»Was hat sie sonst noch gesagt?«
Miss Seeton versuchte, Zeit zu gewinnen. Sie war unsicher, wieviel von dem nächtlichen Gespräch vertraulich behandelt werden sollte. Sie erinnerte sich noch an die Frage: »Wenn man alle möglichen Dummheiten gemacht hat, kann man da noch zurück?«
Das deutete, wie sich Miss Seeton vorstellen konnte, daraufhin, daß sich Mrs. Paynel vielleicht ein wenig töricht verhalten hatte und Reue empfand. Jedenfalls wäre es schrecklich ungeschickt, in Gegenwart von Nigel etwas zu wiederholen, was zu verhängnisvollen Mißverständnissen führen könnte. »Na ja«, sagte sie schließlich, »Mrs. Paynel sprach davon, daß Geld im Spiel sei. Das wäre auch der Grund für die Gefahr, meinte sie.«
Nigel konnte seinen wachsenden Unmut nicht mehr unter Kontrolle halten. Das war doch kompletter Unsinn.
Miss
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