Miss Seetons erster Fall
Zeitung auf. »Ja. Fürchterlichen Durst. Weiß nicht, warum. Vielleicht hast du die Bratlinge etwas kräftig gesalzen.« Sie hielt ihre Tasse hin. Mrs. Blaine füllte sie mit Lindenblütentee und gab sie ihr zurück.
Miss Nuttel und Norah Blaine bewohnten seit elf Jahren gemeinsam ein Haus im Zentrum des Dorfes, der Tankstelle gegenüber – eine ideale Lage also, um das Hin und Her im Ort, zu Fuß oder motorisiert, zu beobachten. Es gab wenig, was sie nicht wußten, viel, worüber sie Mutmaßungen anstellten, und eine Menge, was sie sich einfach ausdachten. Im Dorf hieß es empört, sie verbreiteten böswillig und grundlos Gerüchte; ›grundlos‹ stimmte, aber ›böswillig‹ war unfair, und an der Verbreitung waren die Dorfbewohner mitschuldig. Wenn sich etwas Unpassendes ereignete, das sich nicht gleich erklären ließ, ergab sich wie von selbst eine Auslegung, die, im Gespräch der beiden Frauen ausgebaut und ausgeschmückt, sich schließlich als echte Tatsache präsentierte. Daß diese faszinierenden Legenden weiterlebten, lange nachdem sich die schlichte Wahrheit herausgestellt hatte, daran waren die Nachbeter ebenso schuld wie die Klatschbasen, die sie aufgebracht hatten.
Beide waren Vegetarierinnen der fanatischen Spielart und unter dem Sammelnamen ›Die Zicken‹ bekannt. Miss Nuttel, groß und dürr, hatte ein Pferdegesicht. Mrs. Blaine, von ihrer Freundin ›Bunny‹ genannt, hatte kleine Korinthenaugen, die ihre Rundlichkeit und ihren freundlichen Ton Lügen straften – wenn ihr etwas in die Quere kam, wurde sie giftig. Das Haus der beiden, Lilikot, ein renovierter Bau mit Panoramafenstern und Nylongardinen, hieß unvermeidlicherweise ›Der Ziegenstall‹
»Kräftig gesalzen?« Kritik konnte Mrs. Blaine nicht vertragen. »Wie kannst du das nur behaupten. Sie waren genauso wie sonst, ich habe mich strikt an das Rezept gehalten. Nein, es sind deine Rübchen gewesen, glaube ich. Ich hab’ mir gleich gedacht, daß du da mit dem Salz zu üppig warst. Und damit geht der zarte Eigengeschmack zum Teufel.«
»Kann sein, kann sein – kein Grund, gleich hochzugehen, Bunny. Diese Seeton.« Erica Nuttel tippte mit dem Finger auf die Zeitung. »Was meinst du – sollen wir mal bei ihr reinschauen?«
Bunny reagierte sofort. »O ja. Machen wir. Wir müssen rauskriegen, was wirklich los war. Aber was für ein Vorwand. Oh, ich weiß. Wir nehmen ihr Löwenzahnwein mit. Es ist noch viel da, und er ist doch so vitaminreich.«
»Gute Idee. Aufmunternd, mindestens so gut wie Whisky. Aber nehmen wir den vom letzten Jahr – ein schlechter Jahrgang. Ich glaube kaum, daß sie den Unterschied merkt.«
»Gut. Und wann gehen wir? Gegen fünf? Ich finde, sie hat Courage, diese Miss Seeton, meinst du nicht?«
»Oder sie ist dumm. Eher das. Nicht zur Teezeit – das fällt zu sehr auf. Besser um drei. Punkt drei.«
»Mummy.« Angela stürmte ins Haus und riß die Tür zum Wohnzimmer auf. »Mummy, sie ist da – die Lehrerin, die heute in allen Zeitungen steht.«
Mrs. Venning hörte auf zu tippen. »Hast du gegessen?«
»Nein.« Angela warf den Mantel auf einen Stuhl, tänzelte zum Schreibtisch, gab ihrer Mutter einen Kuß und warf einen Blick auf den Papierstapel neben der Schreibmaschine. »Kommst du mit dem neuen Buch voran? Entschuldige, daß ich zum Lunch nicht da war, aber ich hab’ mich in Brettenden verquasselt, und eins kam zum anderen – du weißt ja, wie das ist.«
»Nigel Colvenden hat angerufen.«
»Nigel? Was wollte er denn?«
»Das hat er nicht gesagt.«
»Oh. Na ja.« Sie hockte sich auf die Armlehne des Sofas und kramte Zigaretten und Streichhölzer aus der Handtasche. »Ich rufe ihn irgendwann mal an. Auf dem Rückweg bin ich ins Dorf gefahren, zum Tanken, und da hat mir Jack Crabbe alles erzählt. Er hat sie vom Bahnhof abgeholt.«
»Willst du nicht erst was essen?«
»Oooch, essen.« Sie warf das Streichholz in den Kamin. »Ich hol mir gleich was.« Sie trat wieder an den Schreibtisch. »Aber, Mummy, ist das nicht super, das mit dieser Miss Sowieso?«
»Wen meinst du denn?«
»Ach, Mummy!« Sie legte ihrer Mutter den Arm um die Schulter. »Sei doch nicht so schwer von Begriff. Ich sag’s dir doch – die, die in der Zeitung steht, sie ist hier, im Dorf, gerade vor dem Lunch ist sie angekommen. Ich möchte sie so wahnsinnig gern kennen lernen. Sie muß massenhaft dolle Leute kennen.«
»Ich habe keine Ahnung, von wem du redest.«
»Wie sie heißt, hab’ ich vergessen.« Angela nahm
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