Miss Seetons erster Fall
den Mantel und warf ihn sich über die Schulter. »Aber sie zieht in das Häuschen von Old Mrs. Bannet. Ich glaube, es gehört ihr jetzt, oder so ähnlich. Old Mrs. B. war eine Verwandte von ihr. Komm, gehen wir hin und besuchen wir sie, was meinst du?«
»Auf gar keinen Fall. Wir kennen sie nicht, und von dem, was du sagst, kann ich mir nicht vorstellen, daß ich sie kennen lernen möchte. Geh zu Mrs. Fratters und laß dir was zu essen geben.«
»Na schön. Aber ich finde, du bist wirklich stur. Nie willst du was Aufregendes machen.« Die Tür knallte zu.
Sonia Venning seufzte. Von ihrem Schreibtischsessel aus blickte sie durchs Fenster, ohne sich zu rühren. Dann wandte sie sich kopfschüttelnd ihren Notizen zu und begann wieder zu tippen.
Jack das Kaninchen hüpfte flink über die Zaunlatte. Er riß sich die Mütze mit der langen roten Feder vom Kopf. Mit höflicher Verbeugung streckte er der kleinen Lucy die Pfote hin.
»Na, ein bißchen besser sehen Sie ja jetzt aus, Miss Angie, das muß ich schon sagen.« Mrs. Fratters trocknete sich die Hände ab und ging zum Tisch, um den elektrischen Wasserkessel einzuschalten. »Heut morgen hab’ ich gedacht, Sie brüten ’ne Erkältung aus, so käsig, wie Sie ausgesehen haben. Warum sind Sie bloß fort und zum Lunch weggeblieben? Sie wissen doch, daß sich Ihre Ma jedesmal aufregt. Was haben Sie bloß in letzter Zeit? Ein bißchen rücksichtsvoller könnten Sie schon sein.«
»Ach, hören Sie auf mit Ihrer Predigt, Frat.« Angela ging zum Küchenschrank und begann, in den Borden herum zu stöbern. »Heute morgen war mir ziemlich mies, aber jetzt geht’s mir prima.«
»Was suchen Sie denn?«
»Ein Glas von Ihrer Aprikosenmarmelade.«
»Marmelade ist jetzt nichts für Sie, das ist zuwenig.« Mrs. Fratters bückte sich und machte die Backofenklappe auf. »Ich hab’ Ihnen den Rest Nierenbraten warmgestellt, für alle Fälle. Kommen Sie.« Sie setzte den Teller auf den Küchentisch und nahm Messer und Gabel aus der Schublade. »Setzen Sie sich hin und essen Sie.«
»Ja ja, sofort.« Angela hatte ein Marmeladenglas aus dem Schrank genommen, riß von dem Notizblock an der Wand einen Zettel ab und setzte sich an den Tisch. Aus ihrer Handtasche wühlte sie einen Kugelschreiber und ein Gummiband hervor. Sie schrieb: Mit besten Grüßen von Mrs. und Miss Venning, The Meadows, Plummergen. Dann legte sie den Zettel um das Marmeladenglas und ließ das Gummiband darüber schnappen. »Na bitte. Das ist prima prächtig.«
»Also, ich bin jetzt fertig, Miss Seeton, und wollte auf Wiedersehen sagen.« In den Mantel schlüpfend, trat Mrs. Bloomer ins Wohnzimmer. Miss Seeton drehte sich lächelnd an der Tür zum Garten um. »Ich hab’ den Abwasch gemacht und das Geschirr weggeräumt und für den Tee alles zurechtgestellt, der kalte Braten ist im Kühlschrank, der Rest Apfelstrudel steht auf dem Tisch mit Papier darüber, Gemüse ist jede Menge da, und so haben Sie alles fürs Abendessen, und wenn Sie Lust auf was Besonderes haben, sind Dosen da – oder Eier, natürlich. Ich habe Ihnen ein halbes Dutzend gebracht, aber wenn Sie mehr brauchen, fürs Frühstück, kann Stan welche holen, nach dem Tee, wenn er den Hühnern Wasser gibt.«
Martha Bloomer, in London geboren und seit zehn Jahren mit einem ortsansässigen Landarbeiter verheiratet, hatte zweimal in der Woche für Mrs. Bannet geputzt. Da Bloomers und Mrs. Bannet benachbart waren, hatten sie eine für beide Parteien vorteilhafte Abmachung getroffen. Wie bei fast allen Häusern im Dorf, lag Mrs. Bannets Garten nach hinten hinaus; die Bloomers wohnten in einem der Landarbeiterhäuschen, die von dem Garten durch eine Abzweigung der Dorfstraße getrennt waren; dieser Weg, der seitlich an Mrs. Bannets Grundstück vorbeiführte, überquerte den Kanal und mündete schließlich in die Küstenchaussee. Da die Bloomers, von einem Vorgärtchen abgesehen, kein Gartenland besaßen, hatte Martha Mrs. Bannet vorgeschlagen, ein paar Hühner zu kaufen und das Futter zu stellen. Stan Bloomer hatte den leerstehenden Hühnerstall repariert, sich um die Hennen gekümmert, Mrs. Bannet und Bloomers selbst mit Eiern und Geflügel versorgt und eventuelle Überschüsse anstelle von Lohn auf eigene Rechnung verkauft. Diese Abmachung hatte sich für beide Parteien als so befriedigend erwiesen, daß sie auf Blumen, Obst und Gemüse ausgedehnt worden war.
»Also«, Martha kam zum Schluß, »wenn sonst nichts weiter ist, gehe ich,
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