Miss Seetons erster Fall
Er rollte den Teewagen in die Küche; sein Angebot, beim Spülen zu helfen, wurde entschieden abgelehnt, und so verabschiedete er sich und versicherte Miss Seeton, er werde, falls der M.G.Sportwagen seiner Mutter verfügbar sei, das Clubhaus weiterhin überwachen, um womöglich neue Informationen beizubringen.
Nachdem Miss Seeton das Geschirr weggeräumt hatte, beschloß sie, zum Abend nur etwas Leichtes zu essen und, da sie sehr müde war, früh schlafen zu gehen. Zuerst aber mußte sie ihre gewohnten Turnübungen machen. Sie ging ins Schlafzimmer, breitete in einer Ecke eine Reisedecke aus, legte Schuhe und Kleid ab, holte ihre Fibel und setzte sich. Als sie das Lehrbuch Durch Joga jünger jeden Tag aufschlug, hatte sie das Foto vor sich, auf dem sich ein Herr in Nachahmung des mit Schlangen kämpfenden trojanischen Priesters Laokoon und seiner Söhne versuchte: Die Star-Position -Joga für Fortgeschrittene. Etwas zu weit fortgeschritten, vielleicht. Und selbst wenn es ihr gelingen sollte, so sah sie nicht ein, was sie damit gewann, wenn sie mit einem Bein den Hinterkopf berührte, während der Fuß auf der entgegengesetzten Schulter ruhte. Etwas zu anstrengend. Sie blätterte ein paar Seiten zurück. Ah ja – hier war das Richtige: Der Kopfstand. Stellen Sie einen Wecker so hin, daß Sie ihn sehen können. Schließen Sie die Augen, und atmen Sie ruhig. So ein Unsinn – wie stellten die sich das eigentlich vor? Wo sollte man denn den Wecker hinstellen, damit man ihn mit dem Kopf nach unten und geschlossenen Augen sah? Miss Seeton regulierte die kleine Küchenuhr, so daß sie nach drei Minuten klingeln mußte. Sie kniete sich hin, legte die Hände ineinander, beugte sich vor, so daß der Kopf, von den Händen gestützt, auf dem Boden Halt fand, bog den Körper, machte mit den Füßen Gehbewegungen, schwang sich hoch und lehnte sich gegen die Wand.
Superintendent Delphick schob den überquellenden Aktenkorb mit der AUFSCHRIFT AUSGANG zur Seite und blickte befriedigt auf den leeren KORB EINGANG. Es klopfte. Auf sein ›Herein‹ betrat ein Constable das Zimmer, packte einen Stoß Papiere in den Eingangskorb, leerte den anderen, grüßte und ging hinaus. Heroisch enthielt sich Delphick jeden Kommentars. »Bob.« Sergeant Ranger legte die Akte hin, die er gelesen hatte. »Sir?«
»Verbinden Sie mich bitte mit Ashford. Ich möchte Chief Inspector Brinton sprechen.« Er blätterte rasch die neuen Schriftstücke durch, kam zu dem Schluß, daß nichts davon eilig war, zog einen Block aus der Schublade und begann sich Notizen zu machen. Sekunden später unterbrach ihn der Sergeant. »Chief Inspector Brinton am Apparat, Sir.« Delphick nahm den Hörer ab. »Chris. Ja, viel zu lange, das ist Ihre Schuld. Entweder ist bei Ihnen der Laden zu ruhig, oder Sie sind zu tüchtig. So? Sind Sie etwa in letzter Zeit bescheiden geworden?. Sagen Sie, Chris, so ganz unter uns: Habt ihr neue Informationen über den Singing Swan?« Eine Weile hörte er schweigend zu und notierte sich ein paar Stichworte. »Aha«, sagte er schließlich. »Nicht uninteressant. Aber Sie haben keine Ahnung, wo das Leck ist – falls es ein Leck gewesen ist?. Nein, nein, noch nicht, aber ich habe so ein Gefühl, es könnte. Jedenfalls, wenn es so ist, gebe ich Ihnen Bescheid, und vielen Dank. Bis nächstens.« Er legte auf und sah zu Sergeant Ranger hinüber. »Bob, Sie kennen nicht zufällig jemand, der in Brettenden wohnt, oder besser noch in Les Marys?«
»Noch nie von den beiden Kaffs gehört, Sir.«
»Schade. Ein paar Tage Urlaub, um Freunde oder eine alte Tante zu besuchen, hätten Ihnen gut getan. Aber mir ist so, als ob sich diese Lücke in Ihrem geographischen Wissen bald schließt.«
»Wo ist das denn, Sir?«
»In Kent, Bob, in Kent. Das eine ist nicht weit von dem anderen, und beide liegen in der Nähe von Plummergen.«
»Plummergen? Aber da ist doch Miss Seeton. Wollen Sie etwa sagen, sie hat noch einen verkloppt, Sir?«
»Nicht ordinär werden, Bob. Keine Miss Seeton dieser Welt verkloppt jemand. Sie gibt ihrem Mißfallen mit Hilfe einer Schirmspitze Ausdruck.« Er schwieg einen Augenblick und setzte dann nachdenklich hinzu: »Aber wenn sie lügt, dann regt sich meine Neugier.«
»Ich kann mir vorstellen, daß Miss Seeton alles mögliche tut, Sir, aber eines nicht: lügen.«
»Da haben Sie recht, das wäre gegen ihre Prinzipien. Drumrumreden – so muß man es nennen. Nach dem Inquest haben wir miteinander zu Mittag gegessen, und da
Weitere Kostenlose Bücher