Miss Seetons erster Fall
zusammenbrechen mußte, wenn sie als Zeugin ausfiele. Die Abwesenheit des Pfarrers hatte es ihr erleichtert, das Thema Singing Swan anzuschneiden. Daß sich der Superintendent lebhaft dafür zu interessieren schien, hatte sie überrascht. Statt, wie erwartet, höflich und scheinbar aufmerksam zuzuhören, hatte er sie gründlich ausgefragt – die Fragen trafen so ins Schwarze, daß es mühsam gewesen war, Nigels Bericht sachlich wiederzugeben, ohne dessen Namen zu nennen oder Angela Vennings Verbindung mit dem Club zu erwähnen. Sie glaubte allerdings, es geschafft zu haben und freute sich über die Zusage des Superintendent, die Angelegenheit unauffällig untersuchen und etwas unternehmen zu lassen.
Auch Superintendent Delphick war zufrieden. Das Zusammensein mit Miss Seeton war erfrischend gewesen, und es war ihm gelungen, ihr die Presseleute vom Hals zu halten. Selbstverständlich würde es in Plummergen Gerede geben, aber daß der Klatsch nach London dringen würde, war kaum anzunehmen.
Und in Plummergen wurde tatsächlich geklatscht. Der Superintendent konnte nicht wissen, daß sich die Klatschbasen rasch in zwei Hauptparteien spalteten: Die eine Partei sah in Miss Seeton die Agentin eines Londoner Rauschgiftringes, die nach Plummergen gekommen war, um mit Mrs. Venning ein – bis jetzt nicht näher bezeichnetes – Hühnchen zu rupfen; die andere Partei sah in ihr das Opfer der Rauschgiftsucht, das nach verlorenem Kampf um weiteren Nachschub London den Rücken gekehrt und nach Plummergen gekommen war, um den Hauptlieferanten Sonia Venning persönlich aufzusuchen und seine Ansprüche durchzusetzen.
Delphick hatte einen seiner Männer beauftragt, mit Miss Seeton nach Brettenden zu fahren und darauf zu achten, ob sie beschattet würde; ihr Aufenthaltsort mußte auf jeden Fall irgendeiner interessierten Partei verborgen bleiben. Aber er hatte die Rechnung ohne den Pfarrer gemacht.
Dem Pfarrer hatte der Inquest auf beschämende Weise die Augen geöffnet. Er war mitgekommen, um einem in Bedrängnis befindlichen Gemeindemitglied beizustehen, das – wahrscheinlich aus Gedankenlosigkeit oder Naivität – in schlechte Gesellschaft geraten und einer leitenden Hand und moralischen Zuspruchs bedurfte, und mußte nun feststellen, daß das verlorene Schaf die Heldin des Tages war. Es deprimierte ihn tief, an seine vorherigen unschicklichen Befürchtungen denken zu müssen, aber er konnte nicht umhin, auch seiner Schwester einen Teil der Schuld zu geben – schließlich hatte sie ihn irregeführt. Verlegen und beschämt, wie er war, hatte er sich außerstande gesehen, an dem Lunch teilzunehmen, wie der Superintendent vorgeschlagen hatte; er brauchte ein wenig Zeit, um seine Verwirrung zu überwinden und sich eine passende Formulierung auszudenken, mit der er sich bei Miss Seeton wegen seiner grundlosen Verdächtigungen entschuldigen konnte. Als sich daher die Presseleute, die ihn im Gerichtssaal neben Miss Seeton hatten sitzen sehen und denen der Superintendent die Beute entführt hatte, auf ihn gestürzt hatten wie ein Taubenschwarm auf einen Brotknust, hatte er diese Gelegenheit zur Wiedergutmachung erfreut ergriffen. Er hatte verkündet, wie stolz sie in Plummergen seien, Miss Seeton in ihrer Mitte zu haben; ihr Beispiel sei ein Ansporn für sie alle; sie sei ein noch größeres Vorbild als ihre Großmutter, die so lange in Plummergen gelebt habe und deren Häuschen Miss Seeton jetzt bewohne. Damit hatte er auf einen Schlag alles zunichte gemacht, was der Superintendent so sorgfältig in den letzten Tagen geplant hatte.
Der Zug war schon beinahe in Brettenden, als Arthur Treeves endlich sein Problem gelöst und seine Entschuldigung im Geist formuliert hatte. Er räusperte sich.
»Ich. hm. ehern«, begann er. Miss Seeton blickte ihn fragend an. »Ich. hm. finde, das heißt, ich muß gestehen. oder vielmehr, es ist meine Pflicht, Ihnen zu sagen, daß das alles höchst unglückselig ist«, erklärte er.
»Da haben Sie völlig recht«, entgegnete sie. »Höchst unglückselig, aber ich bin auch selber schuld. Eines ist mir jetzt klar – wenn man sich in irgend etwas einmischt, muß man sich damit abfinden, daß man die Folgen zu tragen hat. Natürlich ist es schrecklich, aber jetzt ist es ja vorbei. Ich möchte nie wieder darüber reden. Und ich habe einen festen Vorsatz gefaßt: In nächster Zeit lese ich einfach keine Zeitung, und nach ein paar Tagen spricht kein Mensch mehr davon, und dann kann ich es auch
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