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Miss Seetons erster Fall

Miss Seetons erster Fall

Titel: Miss Seetons erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heron Carvic
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vergessen.«
    Als sie nach Hause kam, wartete Nigel bereits auf sie. Sie unterdrückte ein Seufzen. Sie war abgespannt und müde und wäre gern allein gewesen. Aber als sie den Moment der Verstimmung überwunden hatte, fand sie es wohltuend, sich seinem heiteren Befehl zu fügen. Er hatte den Wasserkessel aufgesetzt, erlaubte ihr nicht, ein Wort zu sagen, ehe er ihr Hut und Mantel abgenommen, sie behaglich in einem Sessel verstaut, den Tee aufgegossen und an den schon gedeckten Tisch im Wohnzimmer gebracht, ihre Tasse gefüllt und zugesehen hatte, wie sie den Tee langsam trank. Sogar eine Packung Schokoladenkekse hatte er als eigenen Beitrag mitgebracht – zufällig die einfache Sorte, die sie am liebsten mochte. Jetzt lehnte sie sich im Sessel zurück und lächelte ihm zu: Er war so gespannt, aber auch so rücksichtsvoll. Ihn noch länger hinzuhalten, wäre unfair. Sie mußte sich konzentrieren und sich an alles zu erinnern versuchen, was Superintendent Delphick gesagt hatte – auch wenn es, zusammen gefaßt, nicht eben viel war. Nigel kam ihr zuvor. »Hoffentlich sind Sie nicht wütend auf mich, daß ich so tue, als ob ich hier zu Hause wäre. Aber ich dachte, vielleicht sind Sie müde, wenn Sie zurückkommen. Darum bin ich zu Martha gegangen und hab’ sie überredet, mich alles machen zu lassen.«
    »Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar«, sagte Miss Seeton.
    Er lachte. »Das müssen Sie auch. Martha war fest entschlossen, Sie selber zu empfangen. Aber sie hat ausgerechnet heute ihren großen Poltertag, und das war so geräuschvoll, daß ich schändlicherweise behauptet habe, Sie erwarteten mich – bloß, damit ich sie loswurde.«
    »O je.« Miss Seeton seufzte. »Was hat sie denn? Und was ist ein großer Poltertag?«
    »Haben Sie das noch nicht miterlebt?« Sie schüttelte den Kopf. »Allmächtiger, da ist Ihnen was entgangen. ›Wenn die Leute über andere Leute tratschen, dann gehört den Leuten‹ – damit sind die zuerst genannten Leute gemeint – ›eine geknallt, und die Leute können sich darauf gefaßt machen, daß ihnen jemand Bescheid stößt.‹ Der Jemand ist natürlich Martha selbst. Und das Ganze von Türenknallen, Töpfeklappern und Herumhantieren mit Besen und Schrubber begleitet. Wenn sie nur hingehen und den Leuten eine knallen würde, auf die sie so böse ist, statt mit allem in Reichweite herumzupoltern, dann wäre es weniger laut und strapaziös. Außerdem wäre es vielleicht eine gute Tat.«
    Miss Seeton lachte. »Wie dumm von mir – aber ich habe gar nicht gewußt, daß Sie Martha so gut kennen.«
    »Und wie gut. Sie putzt seit Jahren bei uns. Ich kenne sie, seit ich laufen kann.«
    »Und was hat sie so in Rage gebracht?«
    »Geschwätz«, sagte Nigel düster und machte ein betont harmloses Gesicht. »Über Sie, fürchte ich. Gestützt auf genial falsch ausgelegte Zeitungsartikel. Ich weiß«, fuhr er hastig fort, als er ihre Bestürzung sah. »Nehmen Sie’s nicht schwer, der Sturm legt sich wieder. Inzwischen genießen die Dorfklatschbasen ihr Getratsche. Nach dem, was ich aus Martha rauskriegen konnte, hat man Sie mit Mrs. Venning liiert – dunkle Transaktionen im Holzschuppen, wissen Sie.«
    »Aber ich bin Mrs. Venning ja noch nicht einmal begegnet«, sagte Miss Seeton empört. »Mit solchen Kleinigkeiten hält man sich nicht auf. Meiner Schätzung nach«, fuhr er fort, »stecken die ›Zicken‹ dahinter – Ihnen dem Namen nach als Miss Nuttel und Mrs. Blaine bekannt. Sie sind der dörfliche Ersatz für die Klatschspalte eines Hollywooder Skandalblattes. Nichts Unerfreuliches, das sie nicht im Ziegenstall wiederkäuen und noch mit ein paar abrundenden Giftspritzen versehen. Sicherlich haben sie neulich ›zufällig‹ das Marmeladenglas von Vennings gesehen. Mich würde es nicht wundern, wenn sie die Marmelade ›zufällig‹ auch probiert hätten.«
    Miss Seeton beugte sich vor, setzte ihre Tasse ab und schob den Teewagen zur Seite. »Nun ja, da kann man nichts machen. Aber Sie möchten jetzt gern wissen, was der Superintendent gesagt hat.«
    Nigel grinste. »Ja, zugegeben. Aber ich wollte nicht drängeln.«
    Alles, was Miss Seeton zu Superintendent Delphick gesagt, alles, was er zu ihr gesagt hatte und alles, was aus Andeutungen und doppelsinnigen Bemerkungen zu entnehmen war, die beide gemacht hatten, wurde erschöpfend besprochen. Man hatte etwas unternommen, es war etwas eingeleitet worden; es war ziemlich nebulös, gewiß, aber immerhin etwas, und Nigel war erleichtert.

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