Miss Seetons erster Fall
schon ausgeheult, und der Scheinwerfer funktioniert wieder, und jetzt sind sie dabei, die Stoßstange zu richten. Crabbe sagt, es wäre nicht weiter schlimm. Vielleicht bringt er ihn noch vor dem Lunch her.«
»Ja«, warf Delphick ein, »über diese besondere Episode hat uns schon die Polizei von Ashford informiert. Ich darf später darauf zurückkommen. Der einzige gesicherte Tatbestand ist bis jetzt, daß es gestern nacht zu einem Tumult gekommen ist, bei dem es sich allem Anschein nach«, Bob Ranger gab einen hörbaren Seufzer von sich, »um Miss Seeton drehte. Man hat uns dazugeholt, weil ein Zusammenhang mit dem Fall bestehen könnte, mit dem sie schon als Zeugin zu tun hatte. In Miss Seetons Haus war niemand, und so haben wir uns auf ihrem Grundstück umgesehen, um uns ein Bild zu machen. Dann hat uns eine Miss Treeves – soviel ich verstanden habe, die Schwester des Pfarrers – gesagt, Miss Seeton sei hier bei Ihnen. Miss Treeves, offenbar eine Augenzeugin, hat uns freundlicherweise die Vorfälle der letzten Nacht aus ihrer Sicht geschildert. Und der Pfarrer, ebenfalls Augenzeuge, gab uns liebenswürdigerweise seine Darstellung. Mehrere andere Leute, alles Augenzeugen, haben sich gemeldet und uns netterweise ihre Version dargestellt. Die Berichte decken sich nicht ganz – sie reichen von Eierdiebstahl über Miss Seetons Drohung, das ganze Dorf zusammen zuschießen, bis zur Großinvasion des Ortes seitens fremder Truppen. Deshalb sind wir hergekommen. Wir möchten versuchen, in diese Phantastereien ein wenig System zu bringen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns dabei helfen würden. Vielleicht ist es am einfachsten, wenn Sie, Lady Colvenden, den Anfang machen, da Sie offenbar mehr am Rande des Geschehens standen?«
Am Rande des Geschehens? Das ärgerte sie. »Tja, eigentlich hab’ ich gar nichts getan, Superintendent«, antwortete sie leichthin. »Ich bin bloß rübergefahren, hab’ sie entwaffnet und hierher gebracht.«
»Entwaffnet?« entfuhr es Sergeant Ranger. »Sie meinen, Sie haben ihr den Schirm weggenommen?«
»Aber nein«, entgegnete Lady Colvenden. »Den hatte sie in der anderen Hand. Ich meine die Pistole.«
»Allmächtiger!« sagte Sir George.
Nachdem Lady Colvenden erreicht hatte, was sie wollte, gab sie einen knappen Bericht über das wenige, was sie selbst miterlebt hatte.
Rytham Hall, am Ende einer gewundenen Auffahrt gelegen, die von der Marsh Road abzweigt, lag etwa hundert Meter von Miss Seetons Häuschen entfernt. Lady Colvenden hatte im Bett gelesen. Kurz nach Mitternacht, so erinnerte sie sich, hatte sie in der Ferne lautes Hühnergegacker und dann einen Knall gehört – es konnte auch ein Schuß gewesen sein. Sie war ans Fenster gegangen und hatte sich hinausgebeugt. Aus der Ferne hörte sie Geschrei, und dann knallte es noch zweimal. Gleich darauf schrie jemand auf, und jemand anders brüllte irgend etwas. Das Brüllen ähnelte der Stimme ihres Mannes, aber sie war sich dessen nicht ganz sicher. Rasch zog sie sich an, und da ihr eigener Wagen noch nicht zurück war, nahm sie Sir Georges Kombi. An der Dorfstraße angelangt, sah sie Leute auf Miss Seetons Häuschen zulaufen, manche mit Taschenlampen, obwohl das Mondlicht hell genug war. Der Pfarrer stürzte auf sie zu und wollte sie überreden, gemeinsam mit ihm die soeben entwichenen Eierdiebe zu verfolgen. Sie hielt es für sinnlos, mit Reverend Treeves, der im Nachthemd und ohne Pantoffeln war, auf dem Land herum zu kutschieren, um einen unbekannten Wagen zu verfolgen, der in ebenfalls unbekannter Richtung davongefahren war. Hoffentlich hatte Molly Treeves daran gedacht, ihren Bruder nach seiner Rückkehr in ein heißes Bad zu stecken.
Da sich Miss Seetons Hühner immer noch nicht beruhigt hatten, war Lady Colvenden um das Häuschen herumgegangen und hatte im Garten Stan und Martha Bloomer vorgefunden – Martha mit einem Besen ausgerüstet und Stan mit einer Hacke in der einen und einer Taschenlampe in der anderen Hand – und zwischen ihnen Miss Seeton. Die alte Dame, im Morgenrock und auf den Schirm gestützt, hielt eine Pistole auf einen Schwarm Dorfbewohner gerichtet, die sich am Gartentörchen zusammen drängten, während Stans Taschenlampe sie wie eine Zielscheibe anstrahlte. Dieses Bild hatte Lady Colvenden brutal gestört, indem sie die Leute aufforderte, nach Hause zu gehen; dann hatte sie Miss Seeton die Pistole weggenommen und sie überredet, schnell ein paar Sachen für die Nacht zusammenzupacken und
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