Miss Seetons erster Fall
mit ihr nach Rytham zu kommen. Sie hatte im Gästezimmer das Bett überzogen und zwei Wärmflaschen hineingetan. Miss Seeton und sie hatten dann jede ein leichtes Beruhigungsmittel genommen und ein Glas heiße Milch getrunken, und danach waren beide zu Bett gegangen und hatten geschlafen.
»Das entspricht zwar, fürchte ich, nicht ganz der Tradition romantischen Heldentums«, schloß Lady Colvenden mit Blick auf Mann und Sohn, »aber ich glaube doch, daß es zumindest praktisch war.«
»Praktisch und sehr vernünftig«, sagte Delphick. Lady Colvenden strahlte – soviel zum Punkt: Am Rande des Geschehens. »Nur eine Kleinigkeit ist mir nicht klar«, fuhr der Superintendent fort.
»Was haben Sie mit der Pistole gemacht?«
»Mit der Pistole?« fragte sie verdutzt. »Ich. George, wenn du lachst, lasse ich mich scheiden, Ehrenwort. Und Nigel, wenn du wieherst, mußt du die Reparaturen an meinem M.G. selber bezahlen.« Mit unschuldigem Blick sagte sie: »Wie peinlich, Superintendent. Daran kann ich mich im Augenblick nicht erinnern.«
»Nun, machen Sie sich deshalb keine Sorgen«, entgegnete Delphick ruhig. »Natürlich konnten Sie nicht ahnen, daß es wichtig sein würde – gestern nacht. Aber wir müssen schon versuchen, sie wiederzufinden. Weit weg kann sie nicht sein. Überlegen wir mal. Sie haben die Waffe nicht aus der Hand gelegt, als sie Miss Seeton beim Packen halfen?«
Lady Colvenden dachte nach. »Nein, ich glaube nicht.«
»Nein? Dann war sie Ihnen bestimmt beim Autofahren im Weg. Sie könnten sie auf den Rücksitz gelegt haben.«
»Superintendent, Sie sind großartig«, rief sie. »Jetzt fällt es mir ein: Genauso war es. Ich habe Miss Seetons Koffer hinten auf den Sitz gestellt und die Pistole hinterhergeworfen.«
Sir George wurde es heiß, Nigel wurde es kalt. Delphick lief ein Schauder über den Rücken. Mit der Pistole war vermutlich geschossen worden. Wenn das stimmte, dann war sie entsichert. Miss Seeton hatte mit ihr auf die Dorfbewohner gezielt, Lady Colvenden hatte sie achtlos ins Auto geworfen – ein reines Wunder, daß niemand ums Leben gekommen war.
»Ist die Garage abgeschlossen?« fragte Delphick. Lady Colvenden schüttelte den Kopf. »Sergeant.« Bob Ranger stand auf und ging aus dem Zimmer.
»Schön, wenn Sie mich nicht mehr brauchen, gehe ich und helfe Martha beim Kochen«, sagte Lady Colvenden.
»Im Augenblick habe ich keine Fragen mehr an Sie, Lady Colvenden. Vielen Dank für Ihren klaren Bericht – und auch für Ihren raschen Entschluß, Miss Seeton aus der Gefahrenzone zu entfernen. Würden Sie ihr bitte ausrichten, daß wir nach dem Lunch vorbeikommen und sie sprechen möchten?«
»Selbstverständlich, Superintendent. Und bitte versuchen Sie doch, sie zum Hier bleiben zu überreden. Sie wollte schon heute nachmittag in ihr Häuschen zurück. Apropos, Nigel, wenn sie darauf besteht und vorausgesetzt, mein Wagen ist bis dahin zurück: Darf ich ihn benutzen? Oder hattest du weitere Manöver damit vor?«
»Bleib friedlich, meine Liebe. Der Junge fährt großartig. Höchste Zeit, daß er selber ein Auto bekommt.«
»Eine glänzende Idee, George. Am besten einen Jeep – oder noch besser: einen Panzer.« Ihr Abgang verlor dadurch an Wirkung, daß sie mit Sergeant Ranger zusammenstieß, der mit dem Kaffeetablett hereinkam. »O wie schön«, sagte sie, als sie neben der Kaffeekanne die automatische Pistole sah, die auf einem sauberen Taschentuch lag. »Sie haben Miss Seetons Waffe gefunden. Gott sei Dank. Vermute ich richtig«, setzte sie stirnrunzelnd hinzu, »daß es gegen Ihre Vorschriften verstößt, mir heimlich einen Durchschlag Ihrer Notizen zuzustecken? Das wäre meine einzige Chance, je zu erfahren, was sie alle letzte Nacht eigentlich vorgehabt haben.« Die Tür schloß sich. Der Sergeant stellte das Tablett auf den Tisch, hob das Taschentuch an den Zipfeln hoch und brachte die Pistole seinem Vorgesetzten.
»Ich hab’ sie gesichert, Sir. Fingerabdrücke sind vermutlich sowieso nicht drauf, oder wenn, dann stammen sie von allen möglichen Leuten, bloß nicht von.«
»Danke, Sergeant«, sagte Delphick. »Und nun zu Ihnen, Sir George. Wo waren Sie, als die Schießerei anfing?«
»Unten am Kanal.«
»Mit einer Schußwaffe?«
»Schrotflinte. Karnickeljagd.«
»Ah ja, das wäre also direkt hinter Miss Seetons Grundstück. Erwischen Sie da unten viele Karnickel, Sir?« Sir George wurde rot im Gesicht. »Ist meine Annahme richtig, daß Sie gerade in diesen letzten
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