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Miss Seetons erster Fall

Miss Seetons erster Fall

Titel: Miss Seetons erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heron Carvic
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Schottland lebender Neffe hatte seiner Überraschung ungeniert Ausdruck gegeben, als er erfahren mußte, daß sie kaum mehr als sechshundert Pfund hinterlassen hatte. Wie der Superintendent erfahren hatte, sollte sie sich – laut Aussage der Nachbarn – einige Zeit vor ihrem Tode sehr seltsam benommen haben.
    Ernest Foremason, ein Junggeselle in den Fünfzigern, hatte seinen Wagen gegen eine Mauer gefahren; die Mauer hatte es überlebt. Nach Ansicht der Polizei war es Trunkenheit am Steuer gewesen. Mr. Foremason hatte kein Testament hinterlassen, und da er keine Verwandten hatte, war sein Nachlaß – einige hundert Pfund und ein mit Hypotheken belastetes Haus – an die Krone gefallen. Auch er hatte als sehr vermögend gegolten.
    Eine Miss Worlingham, ledig, 63 Jahre alt, war durch Selbstmord geendet. Sie hatte ein handschriftliches Testament hinterlassen, das sie am Tage ihres Todes verfaßt und vom Milchmann und ihrer Putzfrau als Zeugen hatte gegenzeichnen lassen. Das Dokument war jedoch wertlos, da der Nachlaß nicht einmal ihre Schulden deckte. Obwohl man sie für begütert gehalten hatte, war niemand überrascht, da sie in ihren letzten Lebensjahren durch sonderbares Benehmen aufgefallen war.
    Miss Hant, ebenfalls eine alte Jungfer, jedoch unbekannten Alters, befand sich wegen Rauschgiftsucht in einem privaten Pflegeheim; es hieß, sie sei unheilbar. Niemand besuchte sie dort, von ihrem Anwalt abgesehen. Soweit man wußte, hatte sie weder Verwandte noch Freunde. Anscheinend hatte sie einmal Geld gehabt, doch jetzt wurde sie, wie man glaubte, von Mr. Trefold Morton aus reiner Menschenfreundlichkeit unterstützt.
    Die eine benahm sich seltsam, die zweite sonderbar, der dritte war betrunken, die vierte, Miss Hant, konnte ohne Heroin nicht leben. Das war kaum als normal zu bezeichnen. Alle vier waren alleinstehend und hatten keine nahen Verwandten, die nach ihrem Tod Fragen hätten stellen können. Alle angeblich reich, in Wirklichkeit aber arm, und auch bei Miss Hant hieß es bereits, sie habe kein Geld mehr. Zufälle, die man sich merken sollte? Der Superintendent meinte, ja – andererseits: Wie viele Anwälte hatten nicht in einer dreißigjährigen Praxis ähnlich hohe Prozentsätze vom Mißgeschick verfolgter Klienten? Nein, die Polizei konnte die Nachforschungen nicht weitertreiben. Und Miss Hant in dem Pflegeheim zu interviewen, wäre sinnlos – wie ihr Arzt sagte, hatte sie zwar klare Augenblicke, aber wie alle Süchtigen würde sie der Polizei keine zweckdienlichen Auskünfte geben. Und was hätte er damit erreicht? Nur, daß Mr. Trefold Morton von seinem Interesse erfuhr. Was für ein Jammer, sie nicht noch bei Lebzeiten sehen zu können – ihr Arzt gab ihr keine allzu lange Frist –, denn nach ihrem Tode konnte die Polizei mit dem, was man jetzt in der Hand hatte, nichts unternehmen. Und man hatte tatsächlich nichts in der Hand. Dem Superintendent kam ein Gedanke, wie er trotzdem erreichen konnte, was er wollte. Aber ob er seine Idee höheren Orts vortragen oder auf eigene Kappe handeln sollte, darüber mußte er sich noch klar werden.
    Die Ermittlungen im Fall von Miss Seetons Entführung, die ein Kinderspiel hätten sein müssen, da die Tatsache unbestritten und der Schuldige in Haft war, erwiesen sich vom Standpunkt der Polizei aus als ungewöhnlich schwierig. Bis jetzt hatte man keine weiteren Informationen beschaffen können, und der Fall grenzte ans Lächerliche. Die Vorführung vor dem Magistrat am Vormittag nach der Verhaftung hatte die Presse alarmiert, und Reporter strömten herbei. Wie die Geier hatten die Journalisten über den Hauptakteuren gekreist, ehe sie sich vier Tage später mit flatternden Notizblöcken im Gerichtssaal von Ashford niederließen.
    Der Fall war ein Geschenk des Himmels. Von Sex abgesehen war alles vorhanden, was das Herz eines Reporters höher schlagen läßt: eine tapfere Frau, ein ritterlicher Retter, der im Kampf verwundet worden war, und ein rätselhafter Schurke.
     
    Der Fall war eine Pest. Von Sex abgesehen war alles da, was einem Polizeibeamten mißfällt: eine tapfere Frau, ein ritterlicher Retter, der die Polizei um eine Wagenlänge geschlagen hatte, und ein rätselhafter Schurke. Letzteres war der größte Haken. Miss Seeton und ihr stämmiger Freund hatten ihren Häftling zwar säuberlich gebündelt, aber ohne Etikett an die Justiz abgeliefert. Das Etikett fehlte noch immer. Der Häftling weigerte sich rundweg, irgend etwas zu sagen. Seine

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