Miss Seetons erster Fall
ja, es ist gar nicht weit – eine Viertelstunde zu Fuß. Und für alle Fälle habe ich eine Taschenlampe bei mir. Es ist sehr nett von Ihnen, daß Sie mich überhaupt so weit gebracht haben.«
»Das ist doch das Wenigste, was ich tun konnte. Das Allerwenigste. Außerdem ist es auf dieser Strecke bis hierher gar kein Umweg gewesen. Erst hier trennen sich unsere Wege.«
Die Kreuzung kam in Sicht, er bremste, fuhr an den Straßenrand und hielt. Miss Seeton stieg aus. Mr. Trefold Morton rief durchs Fenster: »Sie müssen hier einbiegen, das wissen Sie, nicht wahr? Diese Stelle heißt Plummergen Common. Sie halten sich rechts, der Weg führt dann direkt ins Dorf runter. Und es macht Ihnen bestimmt nichts aus? Bestimmt nicht? Dann verabschiede ich mich also. Mir ist es sehr peinlich, Sie hier so stehen zu lassen. Sehr peinlich. Aber Not bricht Eisen. eh. so ist es, Not bricht Eisen.«
Ohne auf Antwort zu warten, fuhr er mit einem Satz an, schaltete knirschend in den zweiten Gang und raste davon.
Wenn er bloß nicht soviel reden würde. Allein vom Zuhören war sie erschöpft. Natürlich war es sehr rücksichtsvoll von ihm gewesen, sie von einem Taxi nach Brettenden holen zu lassen. Aber ehrlich gesagt, wenn sie gewußt hätte, daß er sie bei der Rückfahrt mitnehmen und hier absetzen wollte, dann hätte sie das Taxi warten und sich wieder nach Hause fahren lassen. Oh! Ein Knall. Beinahe wie ein Schuß. Verscheuchte jemand Vögel auf einem Feld in der Nähe? Abends, wenn es dunkel war.? Ah ja, jetzt fiel es ihr ein. Stan hatte gesagt, daß manche Bauern Kaninchen und ähnliches Getier mit Selbstschüssen verjagten. Wäre es nicht viel praktischer gewesen, wenn Mr. Trefold Morton mit dem Dokument, das sie unterzeichnen mußte, zuerst zu ihr nach Plummergen gekommen und von dort aus zu seinen Bekannten gefahren wäre? Aber sie hatte ihm das am Telefon nicht vorschlagen wollen, da er sagte, das Taxi sei bereits unterwegs. Wahrscheinlich war er es einfach gewöhnt, alle geschäftlichen Dinge im Büro zu erledigen. Aber er hatte buchstäblich seit ihrem Eintreffen nicht mehr zu reden aufgehört. Beinahe, als sei er nervös, aber das war ja lächerlich. Er konnte doch nicht annehmen, sie werde seine Bitte, ihn nach Dienstschluß im Büro aufzusuchen, als Einladung zum Rendezvous mißverstehen? Miss Seeton lächelte über diese Idee, nahm die Taschenlampe aus der Handtasche und knipste sie an.
Wie war das – ging man auf der Landstraße als Fußgänger rechts oder links? Es gab da irgendeine Regel. Entweder ging man auf derselben Seite, auf der die Autos fuhren, oder es war umgekehrt. Wenn man zur U-Bahn hinunterging, war da immer ein Schild: BITTE. HALTEN. Sie versuchte, sich das Schild vorzustellen. Ah ja. BITTE RECHTS HALTEN. Also galt hier wahrscheinlich dasselbe. Sie leuchtete quer über die Straße. Aha, damit war es entschieden. Drüben waren eine Hecke und ein Graben. Wenn ein Auto vorbeifuhr, konnte man beim Ausweichen stolpern und in den Graben fallen. Zu dumm, daß es neben Landstraßen keine Bürgersteige gab. Hier auf dieser Seite dagegen war der Boden neben der Fahrbahn verhältnismäßig eben. Natürlich, das mußte Plummergen Common sein. Plötzlich leuchteten ein Stück weit vor ihr Scheinwerfer auf. Miss Seeton trat ein paar Schritte zur Seite und wandte sich ab, um nicht geblendet zu werden. Nanu – ein See. Nein, See war wohl übertrieben. Ein ziemlich großer Teich. Sie beschloß, unter dem Baum zu warten, bis der Wagen vorbei war. Merkwürdig, diese verfälschende Wirkung des künstlichen Lichts. Die Blätter an Bäumen und Sträuchern, die sich über das Wasser neigten, sogar die Zweige sahen aus, als seien sie aus Pappe ausgeschnitten, flach wie Kulissen. Und doch, noch während sie es beobachtete, änderte sich die Lichtwirkung, die dritte Dimension kam hinzu, die Formen wurden plastisch. Miss Seeton blickte über die Schulter. Ah ja, das erklärte es. Ein Auto kam aus der entgegengesetzten Richtung. Wie schwer sich bei Nacht Entfernungen schätzen ließen. Der erste Wagen schien überhaupt nicht näher zu kommen. Als ob er angehalten hätte. Vielleicht ein Pärchen. Nein, dann wäre er von der Straße abgebogen. Und außerdem hätte man die Scheinwerfer ausgeschaltet. Die Scheinwerfer des zweiten Wagens wurden immer heller. Heller? Sie kamen direkt auf sie zu. Was denkt sich der Fahrer eigentlich?
Sie schwenkte den Schirm, um auf sich aufmerksam zu machen, drehte sich um und rannte. Geblendet,
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