Miss Seetons erster Fall
sich über die Schulter und stieg an Land.
Es hatte etwas Dramatisches: das Dunkel, von einem Lichtkegel durchschnitten. Es hatte etwas Unheimliches: Ein vorzeitliches Ungeheuer erhob sich mit seiner Beute tropfend aus dem Morast. Ein Horrorfilm. Es war zuviel. Lady Colvenden mußte sich zusammennehmen, um die aufsteigende Hysterie zu unterdrücken.
Der Sergeant legte die kleine Gestalt mit dem Gesicht nach unten auf das Gras, lockerte ihr im Licht der am Boden stehenden Handlampe die Kleidung, kniete sich über sie und drehte ihr den Kopf zur Seite. Er legte ihr die Hände unter die Schulterblätter und begann behutsam mit rhythmischen Bewegungen zu pressen. Nach ein paar Augenblicken gab Miss Seeton eine Portion Teich von sich.
Mit ausgestrecktem Arm konnte Lady Colvenden den Schirm erreichen; sie nahm ihn vom Baum, hob Sergeant Rangers Kleidungsstücke auf, brachte alles zu ihrem M.G. und legte es in den Kofferraum. Dann wendete sie den Wagen und ließ ihn mit laufendem Motor in Fahrtrichtung Plummergen stehen. Nach diesem Augenblick normaler Betätigung kam ihr das Unwahrscheinliche der Szene doppelt stark zum Bewußtsein. Die eine Gestalt lag reglos halb im Schatten, die andere ganz im Licht, und über sie beugte sich der nackte Oberkörper eines Mannes. Abergläubische Furcht überwältigte sie, und beinahe hätte Lady Colvenden vor Angst gekichert. Das Ungeheuer knurrte über seiner Beute.
Sergeant Ranger meinte in diesem Moment das erste Anzeichen schwacher Atmung wahrgenommen zu haben. Er fuhr mit seinen rhythmischen Bewegungen fort, bis er ganz sicher war, drehte Miss Seeton dann um und begann vorsichtig, ihr ins Gesicht zu klapsen. Irgend. wo. Irgendwie. Irgendwas. Muß es dem Trüben Tag sagen. Und dem Fußballer. Irgend. Bob Ranger beugte sich tiefer, um das Murmeln zu verstehen. »Trüber Tag. Fußballer. muß.«
Wieder gab er ihr leichte Klapse ins Gesicht. Ihre Augenlider zuckten schwach, die Augen blickten müde durch brodelnden Nebel: Jetzt wurde das Bild scharf. Eine schwarze Silhouette vor dem grellen Licht – ein nackter Mann über ihr, die Hand zum Schlag erhoben. O nein, nein. Bitte. Miss Seeton fiel in Ohnmacht.
Lady Colvenden lief zum Wagen, um eine Decke zu holen, und als der Sergeant die bewußtlose Miss Seeton darin einhüllte, sagte sie: »Dr. Knights Klinik. Das geht am schnellsten. Vor dem Dorf rechts, fast gegenüber von dem Weg, der zu Vennings führt. Ich setze Sie da ab.« Gerade als sie abfuhren, kam der Unfallwagen. Lady Colvenden hielt an. Der Sergeant hinterließ eine Mitteilung für Delphick, wies die Männer kurz an, auf dessen Rückkehr zu warten, und dann rasten sie los.
Vor dem Haus, das einmal das alte Cottage Hospital gewesen war, stieg Sergeant Ranger aus, nahm die bewußtlose Miss Seeton auf die Arme, klingelte, ging hinein, und die Türflügel der kleinen Privatklinik schwangen hinter ihm zu.
Lady Colvenden fuhr an und bog in den gegenüberliegenden Weg ein, der zu The Meadows führte. Sie fuhr langsam, denn ihr graute vor dem bevorstehenden Gespräch. Es wurde noch schlimmer, als sie befürchtet hatte. Sonia Venning weigerte sich rundweg, ihr zu glauben; sie weigerte sich, über Angela zu sprechen; sie wollte nicht einmal hinaufgehen und nachsehen, ob das Mädchen in ihrem Zimmer war, wie sie behauptete. Sie erklärte, der Wagen stehe in der abgeschlossenen Garage und zeigte als Beweis den Schlüssel zu dem Vorhängeschloß, den sie aus ihrer Handtasche zog. Eine solche Verbohrtheit brachte Lady Colvenden an den Rand der Verzweiflung. Mrs. Venning wurde ausfallend, behauptete schrill, das Dorf, die Polizei und überhaupt alle seien gegen sie, von jedem werde sie verfolgt. Angela sei ein bißchen leichtsinnig und wild, gewiß, aber sie als Mutter werde durchaus mit ihr fertig. Von den lauten Stimmen aufgeschreckt, lief Mrs. Fratters aus der Küche herzu, und Lady Colvenden wandte sich an sie.
Mrs. Fratters sagte strahlend: »Miss Angie? Aber nein, Mylady. Sie ist oben im Bett, sie war die letzten Tage nicht ganz auf der Höhe, wissen Sie. Sie hat ihr Abendbrot im Bett gegessen, ich hab’s ihr selber raufgebracht.«
Aber die Polizei mußte ja kommen und Fragen stellen. Und dann wären sie unvorbereitet. Lady Colvenden gab sich alle Mühe, sich selbst und die beiden anderen Frauen von dieser Phantasterei zu befreien, aus diesem abgrundtiefen Sumpf des Nicht-Glauben-Wollens herauszuholen. »Sie ist nicht im Bett. Sie ist tot, sage ich Ihnen. Tot. O Gott,
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