Miss Seetons erster Fall
hübsche Figur. Ihr übliches Pech, dachte Anne, daß sie sich vor dem Baden das Haar zu abstehenden Zöpfen geflochten und ihre Figur unter dem plumpen Bademantel versteckt hatte. Sie zog die albernen Zopfschleifen heraus, bürstete sich das Haar, fuhr rasch in ein Kleid – ein rotes, enges – und lief ins Erdgeschoß hinunter.
Was zu trinken. Und was zu essen. Vielleicht Kaffee? Er mußte etwas in den Magen bekommen, nachdem er sich in den Kanal, in den Teich oder was es sonst war, gestürzt hatte, oder er würde eine Erkältung bekommen. Ihre Mutter war mit Bekannten im Kino, also konnte sie Verpflegung holen, soviel sie wollte. Sie warf einen Blick auf den Notizblock neben dem Telefon in der Halle, las: Bin bei Vennings, wunderte sich kurz, schob die Frage beiseite und lief in die Küche. Dort überlegte sie. Wie mußte eine Kleinigkeit für jemanden dieser Größe aussehen? Eine Speckseite, ein Laib Brot und ein ganzer Yorkshire-Pudding? Sie begann, allerlei auf den Teewagen zu stellen: Schinkenspeck, Senf, Pickles, Brot, Butter, Käse und einen Obstkuchen. Sie rollte ihn ins Wohnzimmer, steckte die Kaffeemaschine an, stellte die Drinks zurecht und lief, als sie Bob auf der Treppe hörte, in die Halle. Die Haustür ging auf, und herein kamen ihr Vater und, hinter ihm, der Superintendent. Ihr übliches Pech.
11
Für viele Dorfbewohner wurde es ein bewegter und zufriedenstellender Abend. An Tatsachen fehlte es nicht, Hinzuerfundenes gab es mehr als genug, und Gerüchte gediehen wie Pilze nach dem Regen.
Miss Seeton wurde vermißt, war in einem Auto weggefahren – Tatsache. Schüsse waren gefallen – Tatsache. Nigel Colvenden war mit seiner Mutter in rasendem Tempo durchs Dorf geprescht, scharf verfolgt von der Polizei – Tatsache. Das Auto der Vennings war am Teich bei Plummergen Common gegen einen Baum gekracht – Tatsache. Ein Unfallwagen war vom Schauplatz des Unglücks weggerast – Tatsache. Lady Colvenden war in die entgegengesetzte Richtung gefahren, von einem Mann begleitet, der keinen Faden auf dem Leibe hatte -Tatsache. Nigel Colvenden hatte in einem Streifenwagen neben dem Superintendent aus London gesessen – Tatsache. Zwei Streifenwagen waren am Teich zusammengezogen worden, und die Beamten erlaubten niemand, in die Nähe zu kommen – Tatsache.
Nigel Colvenden war in Haft – nicht direkt eine Tatsache, aber wie sollte man es sich anders erklären? Angela Venning hatte betrunken am Steuer ihres Wagens gesessen und war mit mehreren Freunden vom Club aus der Kurve getragen worden; sie alle hatte der Unfallwagen abtransportiert – möglicherweise keine Tatsache, aber vieles deutete darauf hin. Am Teich war so Entsetzliches zu sehen, daß man nicht hingehen durfte – mußte eine Tatsache sein, bestimmt. Bei Plummergen Common hatte sich eine wüste Schießerei abgespielt – eine hörbare Tatsache. Miss Seeton war geflohen – eine offensichtliche Tatsache. Lady Colvenden war alt genug, um zu wissen, was sie tat – eine unbestrittene Tatsache.
Miss Seeton war geflohen – vielleicht nach London, wahrscheinlich ins Ausland. Miss Seeton hatte den Unfall verursacht, hatte Angela Venning und deren Freunde bedroht und, schießwütig, wie sie immer mit ihrem Revolver war, drei erschossen und einen verletzt; die Leichen hatte der Unfallwagen fortgebracht. Die Leichen waren am Teichufer in einer Reihe ausgelegt und wurden von Polizisten bewacht; der Unfallwagen hatte in rasender Fahrt einen Verletzten zur Bluttransfusion in das Krankenhaus Ashford gefahren. Einer nächtlichen Schwimmparty war von den Hütern der Ordnung ein Ende bereitet worden; Lady Colvenden hatte Nigel in Sicherheit bringen können, nicht aber seine Kleidung. Lady Colvenden war mit einem der Männer durchgegangen. Angela Venning und ein, zwei, drei ihrer Freunde waren ertrunken und von dem Unfallwagen fortgebracht worden. Angela Venning hatte beim Fluchtversuch mit ihrem Wagen einen Unfall gehabt und war mit zwei, drei, vier ihrer Freunde in kritischem Zustand ins Krankenhaus Ashford transportiert worden. Miss Seeton war in dem Unfallwagen geflohen. Miss Seeton war, völlig berauscht, im Teich aufgefunden und von dem Unfallwagen fortgebracht worden. Miss Seeton war noch immer im Teich, weigerte sich, herauszukommen, und die Polizei stand am Ufer und versuchte, ihr gut zuzureden. Nigel Colvenden war verhaftet worden – weil er Miss Seeton, weil er Miss Venning und deren Freunde, weil er die Polizei mit einer Schußwaffe
Weitere Kostenlose Bücher