Miss Seetons erster Fall
Darstellungen, wie sie im Dorf zu haben waren, strotzten so von Verleumdungen, daß man sie nicht hätte drucken können, und ermangelten so sehr der Übereinstimmung, daß sie nur haarsträubend ungenau sein konnten. Etwas Glück, das sich gerecht auf Miss Seeton und Dr. Knights Klinik verteilte, bestand darin, daß ihr Aufenthalt dort geheim geblieben war.
Superintendent Delphick und Sergeant Ranger wurden bei ihrer Ankunft in Sweetbriars mit Begeisterung begrüßt, doch ihr kommentarloses Verschwinden im Haus war weniger populär. Martha hatte keine Ahnung, wo Miss Seeton sein konnte, aber da sie ihr in der Nacht zuvor Wäsche und Kleidung in die Klinik gebracht hatte, würde sie wahrscheinlich zum Lunch zurück sein. Und im Augenblick.? Vielleicht machte sie Besorgungen oder war bei diesem Gewühl im Dorf wer weiß wohin gegangen.
Der Superintendent sah sich in der Klemme. Er mußte zwar unbedingt Mrs. Venning interviewen, kam aber zu dem Schluß, es sei noch wichtiger, zuerst Miss Seeton zu finden. Da einige diskrete Telefongespräche ergebnislos blieben, glaubten Delphick und Bob, die einzige Möglichkeit sei, sich im Dorf nach ihr umzuhören.
In der Post erwies sich Mr. Stillman als nützlich. Ja, Miss Seeton sei hier gewesen. Sie habe eine Postsache aufgegeben. Genauer: vermutlich im Auftrag von Mrs. Venning, denn der Umschlag sei an ihren Verlag adressiert gewesen. Mrs. Vennings Verlag, natürlich. Und der sei ihm bekannt, weil Mrs. Venning ihre Post immer hier aufgab und der Umschlag mehr als ausreichend frankiert gewesen war, und das sei typisch für sie. Nun ja, jetzt, da man ihn fragte, müsse er sagen, daß Miss Seeton etwas geistesabwesend gewirkt habe. Und sie sei überstürzt weggegangen.
Der Pfarrer, der zufällig mit seiner Schwester in der Post Einkäufe machte, trug seinen Teil bei. Jawohl, das sei richtig. Er sei der lieben Miss Seeton auf der Dorfstraße begegnet, habe kurz mit ihr gesprochen – um ihr zu gratulieren, das sei ja das mindeste, denn ihr heldenhaftes Verhalten in der vergangenen Nacht. Erstaunlich, bei ihrem Alter. Und was für eine Tragödie, das Ganze. Und Mrs. Venning nicht zu Hause. das machte es ja noch schlimmer. Man könne nur hoffen, sie rechtzeitig zu erreichen. Aber er wolle dem ein Ende machen. Zuviel sei geschehen und viel zuviel sei geklatscht worden. Er sähe es als seine Pflicht an. Nein, was sie vorgehabt hatte, habe Miss Seeton nicht gesagt. Sie schien. nun ja, geistesabwesend.
»Aber was hat sie denn getan?« fragte Delphick.
»Getan?« wiederholte der Pfarrer verwirrt. »Getan hat sie überhaupt nichts. Sie ist nur… gerannt.«
Miss Treeves war außer sich. »Arthur, nimm dich doch zusammen. Wo ist sie hingerannt?«
»Wieso? Nach Hause, nehme ich an«, sagte Mr. Treeves zu seiner Schwester. »Wirklich erstaunlich. Die meisten Damen in gewissem Alter traben. Aber sie ist gerannt. Gerannt wie ein junges Mädchen. Wirklich erstaunlich.«
Sich mühsam beherrschend, fragte Delphick, als hätte er ein Kind vor sich: »Sie haben Miss Seeton nach Hause rennen sehen?«
»Ja, das heißt, nein. Nicht eigentlich nach Hause«, sagte der Pfarrer. »In die andere Richtung.«
Ihm kam eine Erleuchtung. »Sie ist zurück zu Dr. Knight, hoffe ich.«
»Und sie hat nichts zu Ihnen gesagt?« fragte Delphick.
»Nein«, antwortete Reverend Treeves.
»Unsinn«, rief Miss Treeves. »Denk nach, Arthur. Sie muß etwas gesagt haben.«
»Bring mich nicht durcheinander, Molly«, sagte der Pfarrer gereizt. »Ich brauche nicht nachzudenken. Ich weiß es genau. Ich sage dir, sie hat nichts gesagt. Wenigstens keinen Satz. Nur ein einziges Wort. Und offensichtlich hat sie an was ganz anderes gedacht.«
»Was?« drängte Miss Treeves.
»Was?« echote Bob.
»Was für ein Wort?« fragte Delphick mit Nachdruck.
»Gas«, sagte der Pfarrer.
Draußen vor der Post sahen sich Delphick und Bob instinktiv nach ihrem Wagen um, ehe ihnen einfiel, daß sie dieses Mal zu Fuß waren. Sie begannen zu rennen.
Miss Treeves, der Pfarrer, Mr. Stillman und die übrigen Kunden der Post strömten auf die Dorfstraße, um sich dem Gedränge der Einwohner von Plummergen und den Reportern anzuschließen. Alle sahen, wie die beiden Kriminalbeamten flüchteten. Die Versammelten setzten sich in Bewegung, um ihnen zu folgen. Sie begannen zu rennen.
Bob mit längeren Beinen, längerem Atem und weniger Jahren auf dem Buckel als Delphick, gewann das Wettrennen. Die Seitentür neben dem großen
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