Miss Wyoming

finden, das dich auf den ersten Blick vom Hocker haut. Und bis dahin jag einfach weiter Dinge in Technicolor in die Luft.« 
    »Technicolor? Ich glaub, ich hör Bing Crosby läuten.« Doch John fragte sich in der Tat, wieso er sich noch nicht verliebt hatte. Er hatte unzählige Male jemanden begehrt oder gemocht, aber nie hatte er etwas empfunden, das ihm das Gefühl gab, Teil von etwas Größerem zu sein. Die Energie, die das Filmemachen erzeugte - sowie all seine anderen Vorzüge, das Delirium des Exzesses - all das trug dazu bei, dieses eine schlichte Loch in seinem Leben zu kaschieren. Er hatte den Eindruck, dass Verliebte die Persönlichkeit aufgaben, die sie besaßen, bevor die Liebe ins Spiel kam. Sie verwandelten sich in stereotype »Liebeseinheiten«. Für John waren sowohl Verliebtheit als auch langfristige Beziehungen verborgene Sprengladungen, die ihn nicht nur seiner Identität berauben würden, sondern auch seines Vorwärtsdrangs. Andererseits jedoch ... jemanden zu finden, der auf seinem Weg an seiner Seite wäre - jemanden, der ihn vorantreiben würde ... Dafür hatte er durchgehalten. Und mit den Jahren wurde das Durchhalten immer trauriger und einsamer. Er begann, mit Menschen herumzuhängen, die jünger waren als er, während ältere Freunde sich von ihm zurückzogen. Dennoch spürte er, dass die Jüngeren ihn verachteten: Dieser abgefuckte alte Wichser - der findet ja nicht mal eine Freundin. Und dann wohnt er in einem Haus, das aussieht wie ein atomarer Brüter. Seine Filme sind zwar Hits, aber zur Premiere geht er immer mit seiner Mutter.
    Ivan hatte bezüglich des Schicksals von The Other Side ofHate weniger Befürchtungen als Doris, aber dann kamen ihm diverse geplatzte Grundstücksgeschäfte in Riverside County bei der Produktion dazwischen, und er war nicht in der Lage, sich voll und ganz den Tätigkeiten zu widmen, die sonst die Vorproduktionszeit in Anspruch nahmen: Drehbuchänderungen, Umbesetzungen und das Bereinigen des Chaos, das John regelmäßig in bester Absicht anrichtete. Der Regisseur und die Hauptdarstellerin fanden heraus, dass sie mit ein und demselben Scriptgirl schliefen, und redeten daraufhin nicht mehr miteinander. Der Hauptdarsteller machte zwei Wochen vor Beginn der Dreharbeiten einen Aidstest, der positiv ausfiel, und erschien mit einer neuen, medikamentös umgekrempelten Persönlichkeit am Set, die so gar nicht zu der unbekümmerten Oberflächlichkeit passte, die die dreizehnte und letzte Drehbuchversion ihm abverlangte. Ähnlich beschwerlich ging es weiter - mit der täglichen Sichtung der Muster, dem Sturm, der ein Drittel des Sets in Big Bear City niederwalzte, und auch, als John am elften Tag der Dreharbeiten in die Welt des Crystal Meth eingeführt wurde. Nach einer ausgesprochen entmutigenden Testvorführung in Woodland Hills sagte Melody zu John: »John, ich weiß, dass du mit diesem Film hehre Ideale verfolgt hast, aber das Beste, was du tun kannst, ist eine Dose Klebstoff besorgen, ihn hinten auf die Negative schmieren und das Ganze als Packband verkaufen.« 
    »Mel!«
    »Johnny, sei doch nicht blöd. Er ist Mist. Verbrenn ihn.« 
    »Aber er ist romantisch ... bezaubernd ...« 
    »Oh, bitte! Du sollstest ihn nicht mal auf Video rausbringen. Und auch nicht auf Urdu synchronisieren. Verbrenn ihn.« Bald darauf starb Angus, und Doris verlor den Boden unter den Füßen. Sie waren seit Jahrzehnten schon kein Liebespaar mehr gewesen, aber sie hatte mit ihm einen guten Freund verloren. Sie verfiel in einen Dämmerzustand. Ivan erbte das Anwesen, und Doris blieb im Haus.
    John schlug Melodys Rat, der sich im Nachhinein als gut erweisen sollte, in den Wind, und The Other Side of Hate kam in die Kinos. Die Medienorgane verrissen den Film mit der Schadenfreude von Geiern, die lange auf das erste Straucheln des Giganten gewartet haben. Er wurde gleich nach dem ersten Wochenende wieder abgesetzt, nachdem er nur knapp 300000 Dollar eingespielt hatte, ungefähr genauso viel, wie John pro Jahr für verschreibungspflichtige Medikamente ausgab. In der Filmbranche hieß es daraufhin natürlich, die große Zeit von Equator Films sei vorbei. Für manche war der Streifen ein Rülpser, für andere ein Todesschrei. Es gelang John und Ivan nicht mal, einem 200-Watt-Radiosender mitten in Iowa ein auch nur andeutungsweise freundliches Wort darüber abzuringen (»Halbwegs amüsant!« KDXM, La Grange, Iowa). Der Film war einfach nicht zu retten.
    Aller Augen richteten sich auf den