Miss Wyoming
ihrer rechten Schulter in der Luft flatterte. Von ihrem Hals bis zur Wange verlief eine riesige marmorierte Narbe, das Überbleibsel eines Quallenbisses, den sie zwei Jahre zuvor an der Küste Australiens erlitten hatte. Dieses Andenken hatte ihre Schauspielkarriere im Keim erstickt. Ihr neuer Agent, Adam Norwitz, hatte den Quallenbiss vor einem Monat zum ersten Mal gesehen, und nur wenige Minuten vor Nyllas Erscheinen auf dem Gehsteig war es ihm endlich gelungen, ihren Optimismus zu brechen. Er überzeugte sie, dass sie mit dieser Narbe keine Arbeit finden würde, »es sei denn, du willst Softpornos drehen, denn dann könnte eine solche Narbe bestimmt als Vorzug gelten.«
Ivan starrte auf ihr mit Gardenien bedrucktes Seidenkleid, das in einer warmen Brise flatterte, und sie tat ihm leid. Derweil glucksten und rasselten hinter ihm Johns Lungen und Nebenhöhlen. Ivan sah zu, wie Nylla ihr Kaugummi kaute. Sie nahm es aus dem Mund, und anstatt es auf den heißen Asphalt zu schnipsen, holte sie ein kleines Stück Papier aus ihrer Handtasche, wickelte das Kaugummi hinein und steckte das Ganze in ihre Tasche. Es war das Sauberste, was er je jemanden hatte tun sehen.
»Sieh mal, sie weint«, sagte Ivan hingerissen, als sei er Zeuge des kleinsten Regengusses der Welt. Er stieg aus dem Auto. »Ivan«, sagte John, »findet das Meeting nicht in dem Gebäude dort drüben statt?« Er hörte Ivan Nylla fragen, ob etwas nicht in Ordnung sei. Dann sagte er: »Kann ich Ihnen helfen? Ich heiße Ivan. Ich bin auf dem Weg zu einem Meeting, aber ich habe Sie hier gesehen und ...«
Sie sagte: »O Gott, ich muss einen total bescheuerten Eindruck machen.«
»Nein, das tun Sie nicht. Keineswegs. Wie heißen Sie?«
»Nylla.«
»Was für ein hübscher Name.«
»Er schreibt sich N-Y-L-L-A. Mein Vater ist nach dem Krieg aus Europa in die Staaten gekommen. Er wollte mich nach dem Staat New York nennen, weil Amerika so gut zu ihm gewesen ist. Meine Mutter wollte mich nach ihrer Mutter nennen, Bjalla. Und das ist dabei herausgekommen.«
»Ich heiße Ivan.«
Und sechs Monate später heirateten sie.
Kapitel Siebzehn
Eugene Lindsay, Ford-Händler der Götter, lag allein im Bett und machte sich auf einem kleinen Notizblock eine Liste:
Nr. 63: Man kriegt zu jeder Jahreszeit praktisch jedes Lebensmittel.
Nr. 64: Frauen tun all die Dinge, die auch Männer tun, und es ist eigentlich gar nichts dabei.
Nr. 65: Jeder auf diesem Planeten kann praktisch, wann immer er will mit jedem anderen auf der Erde ein völlig störungsfreies Gespräch führen.
Nr. 66: Es ist überhaupt kein Problem, in Sydney aufzuwachen und in New York ins Bett zu gehen.
Nr. 67: Das Universum ist tausend Millionen Mal größer, als man es sich je hätte träumen lassen.
Nr. 68: Man sieht oder riecht so gut wie nie Scheiße.
Es war eine Liste von Dingen, die jemanden, der hundert Jahre vor ihm gelebt hatte, in Erstaunen versetzen würden. Er versuchte sich einzureden, dass er in einer Welt der Wunder und einer Zeit der Wunder lebte. Nachdem er seinen Job als Wetteransager beim Lokalfernsehen aufgegeben hatte, um vorzeitig in Rente zu gehen, hatte er sich die letzten zehn Jahre in sein Pseudo-Tudor-Haus in Bloomington, Indiana, zurückgezogen. Er verarbeitete Haushaltsmüll zu Kunstwerken und sah fern. Dann und wann schrieb er irgendwelche Gedanken in seine Notizbücher, wie die Liste an diesem Abend. Und in seinem Keller stellte er mit Hilfe eines Xerox 5380-Kopierers und eines Computers mit CD-Rom-Laufwerk weit raffiniertere Gaunereien auf die Beine, als er in den Achtzigern je zu träumen gewagt hätte.
Seine Frau Renata war vor Jahren nach New Mexico gezogen, wo sie sich ihren Lebensunterhalt damit verdiente, dass sie für neurotische Stadtflüchtlinge Kräuter verbrannte. Sie hatte ihre jahrzehntelangen Hungerkuren eingestellt und war in die Breite gegangen wie ein Stapel Leergut vor der Haustür. Sie schminkte sich nicht und wies jeden ausdrücklich darauf hin. Als sie sich von Eugene scheiden ließ, hatte sie keine Forderungen gestellt, was ihn mehr verwirrte und ängstigte, als ein schmutziger Scheidungskrieg es getan hätte.
Nr. 69: Wir sind ein paar Mal zum Mond und zum Mars geflogen, aber da es dort eigentlich nichts als Steine gibt, haben wir aufgehört, von diesen Planeten zu träumen.
Nr. 70: Tausende von Krankheiten lassen sich schnell und problemlos mit ein paar Pillen heilen.
Nr. 71: Erstaunlich detaillierte Beschreibungen
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