Missbraucht
los? Wo ist Uwe?"
"Keine Sorge Doktor, alles klar. Es ist alles in Ordnung, ich bin gleich wieder da."
"Was ist denn los?" Natürlich war Heb neugierig. Es passierte etwas Außerplanmäßiges, in das er nicht eingeweiht war und wenn er daran dachte, wie seine beiden Komplizen Baumels Leiche entsorgt hatten, war Skepsis durchaus angebracht.
"Die Polizei ist im Haus. Verhalten sie sich ganz ruhig, ich bin gleich wieder d a", sagte Nicoletta beim Hinausgehen gefährlich leise. Dabei hatte Dr. Heb fast den Eindruck, dass sie ihm mit dem Strick in der Hand zu winkte. Die Frau verließ den Raum und der Doktor blieb noch verunsicherter und aufgeregter allein zurück.
Im Schuhputzraum knüpfte sie die Schlinge. Sie war kein Profi darin, aber sie hatte bestimmt an zehn Exekutionen während ihrer Zeit bei der Securitate teilgenommen. Ilia hatte sich dabei als absoluter Profi erwiesen. Er verstand die Kunst, das Aufhängen den Delinquenten sowohl so schmerzlos, als auch so schmerzvoll wie möglich zu gestalten. Oft kam es dabei nur auf seine Befindlichkeit an. War Ilia gut gelaunt, war nach einem kurzen, fürchterlichen Knacken alles vorbei, hatte er aber schlechte Laune oder war ihm das Opfer aus irgendeinem Grund unsympathisch, dann Gnade Gott. Dann dauerte das Sterben auch schon einmal bis zu einer Viertelstunde und er konnte sich am Leiden der Opfer nicht sattsehen.
Nicoletta lief die Zeit davon und deshalb wollte sie es so schnell wie möglich hinter sich bringen. Ansonsten hätte sie nichts dagegen gehabt, dem Doktor ein bisschen beim Zappeln zuzuschauen. Uwe sah gebannt, wie sie mit dem Seil hantierte.
"Woher kannst du das?", fragte er kopfschüttelnd.
"Ilia hat es mir oft genug gezeigt."
Der Name Ilia genügte, um Uwes Wut auf alles noch mehr zu steigern. Dabei hatte er sich inzwischen damit abgefunden, dass er in diesem Fall den Henker spielen sollte, obwohl Nicoletta dem Doktor die Schlinge umlegen musste. Er brauchte Heb nur hochzuhalten und im richtigen Moment loslassen. Nicoletta warf den Strick um eines der Rohre und zog ihn so fest sie konnte.
"Probier du mal", forderte sie Uwe auf, einen Belastungstest durchzuführen. Uwe zog und nickte.
"Okay, dann hol ich den Doktor. Vergiss nicht, alles muss schnell gehen. Du packst ihn, hebst ihn hoch, und wenn ich ihm die Schlinge um den Hals gelegt habe, lässt du ihn mit einem Ruck los. Keine Worte mehr, nichts. Ist das klar?"
"Klar Nicoletta", antwortete Stromberg und in seinen Augen stand eine verrückte Entschlossenheit geschrieben.
*
29.06.1994
Die Tür zu Dr. Hebs Büro war unverschlossen, eigentlich ein Zeichen, dass er nicht weit weg sein konnte. Richard warf aus Angewohnheit einen Blick auf die Papiere und Akten, die auf dem Schreibtisch lagen. Sandras Aufmerksamkeit richtete sich dagegen auf die große Yucca Palme, die sie schon bei ihrem ersten Besuch so bewundert hatte.
"Wo ist der denn jetzt?", Richards rhetorische Frage spiegelte seine Ungeduld wieder.
"Suchen sie meinen Mann? Darf ich fragen, wer sie sind?", die hochgewachsene Frau stand plötzlich lautlos im Türrahmen.
"Kommissar Mees und das ist meine Kollegin Polizeimeisterin Götze. Ich nehme an, sie sind Frau Heb", beantwortete Richard die Frage.
Frau Heb war für einen kurzen Augenblick konsterniert. Sie wusste zwar, dass ihr Mann wegen des Verschwindens von Frank Baumel befragt worden war, doch die abermalige Anwesenheit der Polizei überraschte sie.
"Ja! Wo ist mein Mann?"
"Das wüssten wir auch gerne Frau Heb und ich hatte gerade noch gehofft, dass sie es uns verraten könnten", sagte Richard und nahm vom Schreibtisch Abstand.
"Keine Ahnung, er wollte irgendetwas mit Mathae besprechen, aber das ist schon eine Weile her, seit Uwe den Jungen geholt hat."
Im selben Moment, in dem die Frau den Namen Uwe erwähnte, klingelten bei den beiden Kriminalbeamten sofort alle Alarmanlagen und Frühwarnsysteme. Zusammenhänge wurden blitzschnell rekonstruiert und Schlüsse daraus gezogen.
"Wie, welcher Uwe hat welchen Jungen geholt?" Die Dringlichkeit der Frage war deutlich herauszuhören.
"Uwe Stromberg hat Mathae bei mir abgeholt, er wollte ihn zu meinem Mann bringen“, erwiderte Martina Heb.
"Wann war das?"
"So ungefähr vor zwei Stunden, vielleicht bisschen länger her, ich habe nicht auf die Uhr gesehen.."
Es war 17 Uhr 40 und weder eine Spur von Heb, Stromberg oder dem Jungen. Richard konnte noch so schnell denken, aber er konnte nicht erkennen, wie alles
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