Missbraucht
aufgerissenen Augen sah er den Strick und den danebenstehenden Stuhl. Sie ließen ihm keine Zeit, einen klaren Zusammenhang zu erkennen und sich der Situation bewusst zu werden. Uwe trug den Doktor wie einen Kartoffelsack vor sich her. Instinktiv zappelte und trat Heb mit den Beinen. Doch das schien Stromberg überhaupt nicht zu spüren. Er hielt ihn etwa dreißig Zentimeter über dem Boden, als Nicoletta, die blitzschnell auf dem Stuhl stand, den Strick über Friedhelm Hebs Kopf stülpte. Sie wollte die Schlinge fachgerecht ausrichten, doch Uwe ließ ihr keine Chance.
Als er sah, dass Hebs Kopf in der Schlinge war, ließ er los. Viel zu früh! Nicoletta sprang erschrocken vom Stuhl und Uwe sah fasziniert zu, wie Dr. Heb kurz über dem Fußboden um sein Leben kämpfte. Seine Füße schienen zu wachsen, bei dem Versuch Stand zu finden, seine Arme zuckten wild, als er kurz versuchte über sich zu greifen, aber dazu fehlte ihm Kraft. Hebs Gesicht war binnen Sekunden zu einer hässlichen Fratze mutiert, aus der die sofort blutunterlaufenen Augen hervorzuquellen drohten. Dabei gab er schreckliche Laute von sich. Das Zucken des ganzen Körpers hörte nicht auf. Die Schlinge schnürte ihm zwar den Hals ab und schnitt in sein Fleisch, aber sie ließ ihn trotzdem noch atmen. Es war schrecklich, das Gesicht war plötzlich fast blau und die Adern an seinem Hals und die Äderchen in seinen Augen vermittelten den Eindruck, jeden Moment zu platzen. Die Zunge hing aus dem Mund und Heb kämpfte den verzweifelten und schier aussichtslosen Kampf gegen den Tod. Uwe war wie paralysiert. Sein Blick war fest auf Dr. Hebs Kopf gerichtet und er hatte den Eindruck, als wolle er ihm noch etwas sagen. Uwes Mundwinkel zuckten leicht beim Beobachten vom Todeskampf seines Chefs. Stromberg stand vielleicht zwei Meter vor dem Doktor und dessen Sterben zog ihn ganz in seinen Bann.
Diese Chance nutzte Nicoletta. Ihr Freund registrierte in diesem Moment nicht, was neben ihm geschah. Zu sehr beschäftigte ihn die groteske Darbietung vor seinen Augen. Er starrte nur auf Heb.
Nicoletta zog sich einen Handschuh an, nahm die Pistole aus der Handtasche und trat, mit dem Rücken zu Uwe gewandt, dicht an den immer weniger zuckenden Körper des Doktors. Sie nahm seine nun fast leblose und vollkommen kraftlose rechte Hand und umklammerte damit den Griff ihrer Pistole. Alles ging flüssig und schnell. Es blieb niemandem Zeit zum Nachdenken. Sie trat einen Schritt nach links, drehte sich gleichzeitig und hob Hebs Hand, in der die Waffe lag, mit festem Griff nach oben. Dann drückte sie mit seinem Finger den Abzug durch.
Die Kugel traf Uwe von unten ins Gesicht. Die Überraschung, die sein letzter Blick ausdrückte, war weitaus größer als sein Entsetzen. Dafür hatte Nicoletta ihm zu wenig Zeit gelassen. Das Projektil drang von unten links neben seiner Nase ein und schleuderte Uwe zurück. Sofort spritzte Blut in den Raum. Sein Körper schlug hart auf dem Rücken auf. Plötzlich sah es so aus, als wolle sich sein Oberkörper wieder aufrichten, aber die Frau jagte zwei weitere Kugeln aus dem Lauf. Die Erste verfehlte ihn gänzlich, aber die Zweite riss ein großes Loch in seinen Hals. Zu diesem Zeitpunkt war Uwe aber schon tot. Nicoletta nahm die Pistole und legte sie sorgfältig, wie es der Doktor getan hätte, in einem der Regale ab. Ohne sich umzuschauen, verließ sie den Raum.
*
29.06.1994
Polizeidirektor Mertes hatte inzwischen alle möglichen Polizeikräfte alarmiert und instand gesetzt. Im Konvoi rasten die Einsatzwagen mit Blaulicht nach Montabaur . Mertes informierte unverzüglich, über die Staatsanwältin Heuss, den Herrn Oberstaatsanwalt. Koepp befand sich gerade in einer äußerst wichtigen Sitzung mit der Fraktionsspitze der FSU in Bad Ems. Der Arbeitgeberverband Lahntal hatte für den Nachmittag ins Kurhaus eingeladen. Die Herren Jung und Göttert waren selbstverständlich auch zugegen. In Bad Ems brannte die Sonne genauso unerbittlich, wie im übrigen Rheinland Pfalz. Das Thermometer zeigte um 17 Uhr 10 unglaubliche 31° im Schatten. Durch die dramatischen Vorkommnisse im Fall Baumel bestärkt, unterbrach Frau Heuss, entgegen der ausdrücklichen Anweisung von Oberstaatsanwalt Koepp, die Unterredung und teilte ihrem Vorgesetzten die Neuigkeiten mit.
Nach einer kurzen Beratungspause mit den Herren Göttert und Jung wurde einvernehmlich beschlossen, dass die Anwesenheit des Oberstaatsanwalts in Montabaur von größter Wichtigkeit war.
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