Missbraucht
Das ist schon sonderbar", flüsterte Richard nachdenklich, als er die Liste durchgegangen war. "Diese Nicoletta wird uns da weiter helfen, da bin ich mir sicher", fügte er an.
"Na dann versuchen wir mal unser Glück", Hauptkommissar Wagner gab das Zeichen zum Aufbruch.
*
30.06.1994
Ihnen blieben noch über zwei Stunden. Die Zeit wollten sie nutzen, um Frau Tschetschowa einen ersten "Anstandsbesuch" abzustatten. Das Krankenhaus lag in Sichtweite, trotzdem nahmen sie Wagners Golf. Der Hauptkommissar aus Montabaur fuhr stadteinwärts, und als er an der ersten Ampel rechts abbog, konnte er schräg gegenüber, etwa einhundert Meter entfernt, „seinen Kiosk" sehen. Er registrierte es mit einem Lächeln und den schönen Gedanken an ein eiskaltes Bier. Aber heute wollte er eisern bleiben. Bis Dienstschluss!
Wagner stellte das Auto ohne abzuschließen in der Nähe des Haupteingangs ab.
"Einem Sheriff klaut hier keiner etwas", meinte er lakonisch.
"Ist schon klar Cowboy", Richard zündete sich schnell eine Zigarette an und inhalierte mit der ähnlich wilden Verzweiflung, wie ein Ertrinkender nach Luft schnappt.
"Bleib ruhig, soviel Zeit haben wir", beruhigte ihn sein Kollege und erntete dafür ein dankbares Nicken. "Ich gehe schon mal rein und frage, wo sie liegt." Richard nickte abermals und blies den Rauch in den Himmel. Es waren bestimmt schon wieder 25 Grad oder mehr, dachte er.
"Heute einmal nur kurz antesten, wir wollen die Frau ja nicht zu sehr beanspruchen", bemerkte Wagner auf dem Weg zu der ersten Vernehmung. Sie nahmen die Treppe, da sich vor dem Aufzug eine regelrechte Menschentraube gebildet hatte. Im 3. Stock meldete sich Wagner im Schwesternzimmer, während Richard bis an das Ende des Gangs durchging, wo er die Kollegin von der Schutzpolizei begrüßte, die vor Frau Tschetschowas Zimmer als Wache ihren Dienst tat.
Hauptkommissar Wagner musste sich in Geduld üben, bis er einen der zuständigen Ärzte sprechen konnte. Sie stellten sich kurz einander vor und der Kriminalbeamte schaffte es dem Mediziner die Erlaubnis für ein Gespräch mit der Patientin abzuringen -natürlich ohne sie zu sehr anzustrengen.
Eine Schwester begleitete sie in Nicolettas Zimmer. Wagner erschrak, als er die Frau in ihrem Bett liegen sah und Richard musste unwillkürlich grinsen. Er drehte Nicoletta kurz den Rücken zu, um die Genugtuung zu genießen. Aus dem Grinsen wurde ein lautloses Lachen und er dachte daran, was für eine gute Arbeit er gestern in ihrer Wohnung verrichtet hatte.
Aus dem Gesicht der Frau war es unmöglich eine Gefühlsregung abzulesen. Nicoletta sah aus wie ein Monster. Das Gesicht bandagiert, das eine Auge zu einem Schießscharten ähnlichen Schlitz mutiert und das andere war unter einem Berg buntem, aufgequollenem Fleisch verborgen.
"Guten Morgen, Frau Tschetschowa..." begrüßte sie Richard," ...Sie kennen mich." Wieder dieses Grinsen in seinem Gesicht. "Das ist mein Kollege Hauptkommissar Wagner, aber ich glaube, sie haben sich auch schon kennengelernt." Wagner nickte und die Frau zeigte keine Reaktion. Genau dieses Spiel hatte Richard erwartet, dieses Spiel kennen Kriminalbeamte in- und auswendig.
Sie wollten versuchen, der Frau einen Köder hinzuwerfen, indem sie die Chance sah, Vorteile für sich herauszuziehen, um ein milderes Strafmaß zu bekommen.
"Wie geht es Ihnen? Wir möchten gerne ein paar Fragen stellen." Wagner begann das Gespräch und Richard lehnte sich mit verschränkten Armen demonstrativ an die Wand neben dem großen Fenster. Nicoletta schwieg, sie hatte ihr deformiertes Gesicht dem Hauptkommissar zugewandt. Schade, dass der Rest ihrer Fresse verbunden ist, dachte sich Mees. Er wünschte sich ihr Gesicht zu sehen, der Verband machte es ihnen nicht gerade leichter.
"Frau Tschetschowa, Sie wissen um ihre Lage..", es war keine Frage, es war eine Feststellung,"... Sie haben gestern auf einen jungen Mann eingestochen um dessen Auto in Ihren Besitz zu bringen und Sie haben eine Polizistin lebensgefährlich verletzt. Inwieweit Sie in die anderen Verbrechen verstrickt sind, finden wir heraus, das können Sie mir glauben. Ich kann Ihnen nur anraten, uns gegenüber kooperativ zu sein und uns bei der Aufklärung der gestrigen Vorkommnisse zu helfen. Je mehr Sie uns entgegen kommen, um so größer sind Ihre Chancen, dass die Richter das in Ihrem Verfahren anerkennen. Außerdem interessiert es uns, was sie über den Fall Baumel wissen."
"Ich war in Panik und habe den Mann mit dem Messer
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