Missbraucht
schmunzelnd zurück. Er wusste genau , auf was seine Kollegin mit ihrer Bemerkung anspielte. Richard wurde immer schneller, je näher sie sich dem Auto näherten.
Er stützte sich auf der Motorhaube ab und musste tief Luft holen, als sie das Revier verlassen hatten. Zwei Minuten länger und er hätte sich übergeben müssen. Kleine Schweißperlen standen ihm auf der Stirn und auf seinen muskulösen Armen bemerkte Sandra Gänsehaut und das, obwohl es bestimmt schon fünfundzwanzig Grad warm war.
Richard schluckte. Er spürte, wie sich sein Magen zusammenzog und es bereitete ihm körperliche Schmerzen, den Würgereiz zu unterdrücken. Es war, als würde jemand mit einem Messer auf ihn einstechen. Drei-, viermal wiederholte sich dieser Reflex, dann hatte er es geschafft, er hatte gesiegt. Das Wasser stand ihm in den Augen, aber er hatte es vermieden, auf den Hof des Polizeireviers zu kotzen. Sandra hatte ihm den Rücken zugewandt und schaute mit verschränkten Armen Richtung Polizeigebäude. Sie hatte Angst Richard zu verletzten, wenn sie ihm bei diesem gleichsam erbärmlichen wie mitleidserregenden Schauspiel zusehen würde. Es war ihr hoch peinlich. Als sie das Gefühl hatte, dass sich Richard wieder gefangen hatte, drehte sie sich langsam um. Einen Moment verharrten sie einfach und Sandra sah ihren Kollegen mitleidvoll und leicht kopfschüttelnd an. Nach heftigem Durchatmen stiegen sie ins Auto und machten sich auf den Weg um Doktor Heb ihren Besuch abzustatten. Richard fühlte sich beschissen ob der Vorstellung, die er gerade abgeliefert hatte, verlor aber kein Wort darüber.
"Stop!"
Sandra erschrak, als Richard plötzlich lauthals das Kommando zum Halten gab. Intuitiv fuhr sie rechts ran. "Was ist los?“, wollte sie wissen.
"Nicht links, fahr erst mal rechts, lass uns hier mal umschauen."
Sandra tat wie befohlen, obwohl sie nicht wusste, worauf ihr Kollege hinaus wollte und fuhr in Richtung Innenstadt.
"Da ist ein Metzger, ich muss was essen, sonst sterbe ich. Willst du auch was?"
"Nein danke, wir haben erst halb elf."
Richard stieg aus und ging in den Metzgerladen, an dessen Schaufenster ein großes gelbes Schild hing, auf dem mit dickem schwarzen Filzer "Heiße Theke" geschrieben stand. Nach zwei Minuten kam er mit einer Papiertüte heraus und nahm wieder Platz im Auto.
"So und jetzt an die nächste Tanke" waren seine Worte, als er sich wieder neben sie setzte. Er klang erleichtert.
"Was willst du an der Tanke? “, fragte Sandra neugierig.
"Frag nicht Mädel, fahr!"
Ein erneutes, lautes "Stop!" Wieder erschrak Sandra. "Was ist denn jetzt schon wieder? Gleich baue ich hier auch noch einen Unfall, wie du".
"Halt hier an, bin sofort wieder da."
Er hatte einen Kiosk entdeckt. Mit der Geschmeidigkeit einer Großkatze schälte sich der Kommissar aus dem Wagen, um nur zwei Minuten später mit einer Cola und zwei Flaschen Bier wieder einzusteigen.
"So und jetzt auf zu den Sportanlagen".
Auf dem Parkplatz stellte sie den Motor ab. Richard gab ihr die Cola und machte sich mit dem Feuerzeug ein Bier auf. Dann packte er die heiße Fleischwust und das Brötchen aus. Der Biss in die Wurst tat ihm gut. Ihm war als ob er spürte, wie das Fett den restlichen Alkohol von gestern förmlich aufsaugte, um sich gleich einen tiefen Schluck aus der Bierflasche einzuverleiben, so als ob er die alten Bestände gegen
neue auswechseln musste. Sofort ging es ihm besser.
Die Fleischwurst, das Brötchen und das eiskalte Bier erweckten seine Lebensgeister. Ein satter Rülpser beendete das üppige Mahl. Dann stieg er aus, streckte sich und zündete eine Camel. Sie schmeckte ganz anders, als die von heute Morgen. Dafür konnte man meilenweit gehen, dachte er sich. Sandra beobachtete ihn derweil und machte sich ihre Gedanken. Ihr war schon seit Längerem aufgefallen, dass Richard sich immer mehr veränderte. Ab und zu ließ er sein Äußeres schleifen, was ihm zu Anfang ihrer Zusammenarbeit nie passiert wäre. Überdies legte er des Öfteren ein Desinteresse und eine allgemeine Unzufriedenheit an den Tag, die sie in dem ewig positiv denkenden Kommissar nicht vermutet hätte. Außerdem versuchte er ihr gegenüber, gar nicht mehr, sein morgendliches Unwohlsein zu verschleiern, wie er es noch vor einem halben Jahr getan hatte, obwohl ihr damals schon sein hoher Alkoholkonsum aufgefallen war. Aber sein Trinkverhalten hatte sich rapide geändert, selbst mit ihr zusammen im Dienst, hatte er keine Scheu mehr, unterwegs Bier zu
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