Missgeburt
Ski läuft.«
Samuel machte kein Hehl aus seiner Freude. »Wie hast du denn das geschafft?«
»Erkläre ich dir alles später«, antwortete Melba geziert. »Dann also morgen Abend, halb sieben, hier vor der Bar. Ich fahre.«
Samuel bereute vom ersten Moment an, in Melbas zweitürigen 1949er Ford gestiegen zu sein. Eine Zigarette im Mundwinkel, raste sie mit durchgedrücktem Gaspedal die California Street zur Gough hinauf, wo sie in Richtung Süden zur Valencia abbog, dann hinauf zur Dolores, an der Mission Dolores vorbei, den Hügel hoch und dann nach rechts einen weiteren Hügel hinauf, bis sie die Liberty Street erreichten. Von dort hatte man einen herrlichen Blick auf den Dolores Park, die Mission High School und die Glockentürme der Mission Dolores. Im Osten waren die hell erleuchteten Hochhäuser von Downtown San Francisco
zu sehen und dahinter die Umrisse der Bay Bridge. Als Samuel schon fürchtete, das Mittagessen käme ihm wieder hoch, fuhr Melba einen weiteren Hügel hinauf und parkte vor einem einstöckigen rosafarbenen Haus mit geschwungenem Dachgiebel, das einfach, aber adrett wirkte.
Samuel seufzte erleichtert auf, und als sich sein Puls wieder normalisiert hatte, fragte er betont beiläufig: »Solltest du beim Fahren nicht eine Brille tragen, Melba?«
»Schon, aber ich hab sie zu Hause vergessen. Was willst du? Du bist mit heiler Haut ans Ziel gekommen, ohne dass es dich einen Cent gekostet hat.«
Sie blieben an der Eingangstür der Familie Rodriguez stehen. Melba war diesmal nicht so exzentrisch gekleidet wie am Tag zuvor. Ihr grünes Kleid hatte ein heiteres Blütenmuster, das ihr die Frische einer Packung Desinfektionsmittel verlieh, und ihr blaugraues Haar war ordentlich frisiert.
Als sie gerade ein zweites Mal läuten wollte, öffnete ihnen ein etwa siebenjähriger Junge. Er trug eine gebügelte Hose und ein weißes Hemd mit einer in den Hosenbund gesteckten Krawatte. Samuel fand ihn allerdings etwas schmächtig. »Hallo, ich bin Marco«, begrüßte sie der Knirps mit einem strahlenden Lächeln.
»Herzlich willkommen.«
»Hallo, Marco, wir kennen uns ja bereits. Das hier ist Samuel, ein Freund von mir.«
Der Junge reichte dem Reporter artig die Hand. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Sir. Kommen Sie bitte mit nach oben. Meine Mutter erwartet Sie bereits.«
Rosa María stand oben an der Treppe. Sie trug eine weiße Schürze über ihrem roten Satinkleid, und hinter ihren Beinen linste ein kleines Mädchen hervor, drei oder vier Jahre alt. Sie hatte lange schwarze Zöpfe und trug ein blaues Samtkleid mit einem weißen Spitzenkragen. »Meine Tochter Ina. Sie ist ein bisschen schüchtern, wenn Leute zu Besuch kommen, die sie nicht kennt«, erklärte die Gastgeberin.
Das Mädchen versuchte, sich hinter seiner Mutter zu verstecken, aber Rosa María packte sie an der Hand und zog sie nach vorn.
»Sag schön guten Tag zu unseren Gästen.«
Als Samuel und Melba dem Mädchen die Hand gaben, wurde es rot und schüttelte sie ihnen verlegen.
»Willkommen, Mr. Hamilton«, wandte sich die Gastgeberin wieder ihrem Besuch zu. »Mein Mann ist noch nicht da, aber er muss jeden Augenblick nach Hause kommen. Ich hoffe, Sie mögen mexikanisches Essen ebenso gern wie Melba. Sie ist ja öfter bei uns zu Gast.«
»Tatsächlich?«, sagte Samuel erstaunt. »Ich hatte keine Ahnung, dass Sie sich so gut kennen.« Er wollte dem weiter nachgehen, wurde aber auf die Veranda hinauskomplimentiert, von wo aus man einen herrlichen Blick auf Downtown San Francisco und die Bay hatte. Auf einem Holztisch standen bereits mehrere Schalen mit Vorspeisen, darunter Bohnenmus, Nopales, Guacamole, frische Salsas in unterschiedlichen Schärfegraden und eine Schüssel mit frisch frittierten Tortillachips. Samuel war zwar kein Feinschmecker, aber es war unverkennbar, dass Rosa María etwas vom Kochen verstand.
»Möchtest du schon etwas zu trinken, Melba?«, fragte Rosa María.
»Ein Bier vielleicht«, antwortete Melba lächelnd.
»Und Sie, Mr. Hamilton?«
»Ich hätte gern einen Scotch on the rocks.«
»Seien Sie kein Frosch, Mr. Hamilton. Versuchen Sie doch mal was Mexikanisches.«
»Zum Beispiel?«
»Einen Tequila mit Zitrone.«
»Okay, warum nicht?«
»Kommt sofort«, ertönte eine Stimme aus der Küche. Sie gehörte einem schnurrbärtigen Mann, der wenige Augenblicke später lächelnd in der Tür erschien. Es war Alfonso Rodríguez, Rosa Marías Mann. Nachdem er die Gäste begrüßt hatte, verschwand
er wieder in
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