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Missgeburt

Missgeburt

Titel: Missgeburt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William C. Gordon
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kurzem in seinen Bann gezogen. Samuel war von der Show seltsam gefesselt. Je länger Schwartz predigte, desto lauter, schneller und eindringlicher sprach er, und umso vager und unverständlicher wurden seine Äußerungen. Samuel glaubte, Anklänge an Mr. Galos Predigten herauszuhören, auch wenn sich der Zwerg in dem von ihm verkündeten Heilsplan eine wesentlich wichtigere Rolle beizumessen schien, als das Vanessas Vater je getan hatte. Aber hier ging es nicht um einen Heilsplan. Der Zwerg sprach von einem Unendlichen Plan .
    Schwartz stellte seinen Anhängern in Aussicht, dass diejenigen, die ihm ihr vorbehaltloses Vertrauen schenkten, Zeugen echter Wunder würden, und verkündete, dass seine Heilsbotschaft an alle gerichtet sei; seine Aufgabe bestehe darin, sich um das Wohlergehen eines jeden Anwesenden zu kümmern, weil jeder von ihnen eines der geliebten Schafe seiner Herde sei, die er wohlbehalten durch die Finsternis geleiten werde. Ja, der Wald sei tief und dunkel und stecke voller Gefahren, schilderte er anschaulich, aber er könne ihnen den rechten Weg weisen. Denn er sei zu ihrem Führer ausersehen worden; er sei Gottes neuer Apostel. Der Unendliche Plan entziehe sich jedem Versuch, allein mit dem Verstand erfasst zu werden, denn er sei, wie alle himmlischen Dinge, letztlich unbegreiflich. Aber ihm, dem Gründer der Universalkirche der seelischen Entfaltung, sei die Gnade göttlicher Unterweisungen zuteilgeworden, und er habe an der Quelle göttlicher Weisheit getrunken. Er sei daher anders als die übrigen Menschen. Oder könne etwa nicht jeder sehen, dass Gott ihn anders gemacht habe? Nur er sei in den Unendlichen Plan eingeweiht, und nur er besitze den Schlüssel, ihn für seine Anhänger zu erschließen.

    Im Anschluss daran ließ er sich über Gott, den Geist und die materielle Welt aus sowie über seine Apostelrolle und einen »besitzergreifenden Strahl«, unter dem sich Samuel jedoch nichts Rechtes vorstellen konnte. Zunächst schien sich der Prediger diesen Strahl noch zunutze machen zu wollen, um alle Zuhörer in seinen Bann zu schlagen, doch je länger er sprach, desto deutlicher wurde ersichtlich, dass es ihm nur darum ging, sich die in der ersten Reihe sitzenden Objekte seiner Begierde gefügig zu machen. Der Zwerg steigerte sich in einen wahren Rederausch hinein, aber Samuel hatte längst aufgegeben, ihm zu folgen. Er war inzwischen vollkommen wirr im Kopf, merkte aber auch, dass er nicht der Einzige war, dem es so ging. Die Stimmung im Saal hatte sich im Lauf der Predigt immer stärker aufgeheizt. Vanessa hingegen schien gegen Schwartz’ Redeschwall immun zu sein. Vermutlich hatte sie schon so viele Predigten ihres Vaters gehört, dass sie für derlei Wortgeklingel unempfänglich geworden war.
    Schließlich zog Schwartz an einer Schnur, worauf sich von der Decke herab eine drei mal zwei Meter große Leinwand mit einem Renaissance-Gemälde entrollte. Bis auf einen Spot, der weiter auf den Prediger gerichtet blieb, strahlten jetzt alle anderen Scheinwerfer das Gemälde an. Schwartz breitete seine kurzen Arme aus, als wollte er alle an sich drücken, und dann begann er, die Bedeutung der beiden Hauptfiguren auf dem Bild zu erklären: eine von ihnen war Jesus Christus, in neutestamentarischen Zeiten Gottes größter Prophet auf Erden; die andere – sie saß neben einem Geldwechsler – war sein künftiger Apostel. Es war unschwer zu erkennen, dass der Künstler bei der Komposition des Bildes das Licht vor allem auf den geheimnisvollen Auserwählten hatte fallen lassen.
    Der Prediger kam jetzt zum Höhepunkt seiner Ansprache; er schrie aus vollem Hals, stampfte mit den Füßen auf das Podium, fuchtelte wild mit den Armen. »Seht ihr, wie Christus seinen künftigen Apostel von dem Geldwechsler fortlockt? Er ruft ihn
zum Dienst an Gott, seinem Herrn! Und was sagt uns das? Der Geldwechsler steht für die Habgier, Selbstsucht und Hartherzigkeit dieser Welt. Und damit will Christus zum Ausdruck bringen, dass ihr alle weltlichen Dinge hinter euch lassen und stattdessen dem Unendlichen Plan folgen sollt. Und wie könnt ihr das am besten bewerkstelligen? Habt Vertrauen in mich, denn ich werde euch den rechten Weg weisen. Folgt mir nach!« An diesem Punkt stand der ganze Saal auf den Beinen, und vor allem die Mädchen in den vordersten Reihen waren völlig außer sich und skandierten Salvador! Salvador! In diesem Moment kamen die Musiker hinter dem Gemälde hervor und stimmten ein mitreißendes Lied an,

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