Missgeburt
Ahnung«, brummte Bernardi.
»Einem Leinensack mit roter Beschriftung. In genau so einem Sack hat auch der Oberschenkel gesteckt.«
Bernardi kniff die Augen zusammen. »Sind Sie da ganz sicher? «
»Ich bin natürlich nicht hingegangen, um mir den Sack aus der Nähe anzusehen, denn sonst hätte sie vielleicht Verdacht geschöpft. Aber bin ich mir trotzdem absolut sicher. Und? Was machen wir jetzt?«
Bernardi setzte sich wieder, lehnte sich zurück und dachte kurz nach. »Am besten, wir gehen gleich mal in die Rechtsmedizin rüber
und sehen uns den Sack, die weißen Haare und die Leichenteile noch einmal genauer an. Vielleicht können wir im Licht Ihrer jüngsten Entdeckung neue Rückschlüsse aus ihnen ziehen.«
Nachdem sie sich in der Rechtsmedizin die einzelnen Beweisstücke ein weiteres Mal angesehen hatten, kratzte sich Bernardi nachdenklich am Kopf. »Ich bin sicher, diese Dominique ist sich der Bedeutung dessen, was Sie in ihrer Wohnung gesehen haben, nicht bewusst. Die Einzigen, die von den Tierhaaren auf dem Sack mit dem Leichenteil wissen, sind Sie, der Coroner und ich. Ich möchte deshalb, dass Sie Dominique noch einmal in ihrer Wohnung aufsuchen und sich ein paar dieser Katzenhaare beschaffen. Aber vorher wüsste ich gern mehr über Sara, Octavios Freundin. Deshalb sollten wir zuerst mit ihren Angehörigen sprechen. Ramiro hat Ihnen doch erzählt, dass sie noch bei ihren Eltern gewohnt hat, als sie verschwunden ist?«
»Warum wollen Sie zuerst mit Saras Eltern sprechen?«
»Falls sie noch etwas von dem Mittel haben, das Dominique Sara gegeben hat, und falls es uns gelingt, seine chemische Zusammensetzung festzustellen, könnten wir seine Inhaltsstoffe als Begründung heranziehen, um uns einen Haftbefehl für die Domina ausstellen zu lassen.«
»Wollen Sie damit etwa behaupten, dass Sara ebenfalls ermordet wurde?«
»Ich behaupte gar nichts; ich stelle nur Ermittlungen an. Zuerst holen wir deshalb von jedem ihrer Angehörigen eine eidesstattliche Erklärung ein, dass Sara als vermisst gilt.«
Als Vanessa in Bernardis Auftrag einen Termin mit Saras Eltern zu vereinbaren versuchte, biss sie auf Granit. Obwohl die ganze Familie seit Saras Verschwinden verzweifelt nach dem Mädchen suchte und für jede Form von Hilfe hätte dankbar sein müssen, wollte sie unter keinen Umständen etwas mit der Polizei zu tun haben, zu der die meisten Latinos, vorsichtig ausgedrückt, ein distanziertes Verhältnis hatten. Und von dieser abweisenden
Haltung ließen sich Saras Eltern auch nicht abbringen, als ihnen Bernardis Bitte auf Spanisch vorgetragen wurde. In einem letzten verzweifelten Versuch, die Obregons umzustimmen, suchte sie Vanessa schließlich sogar in Begleitung ihres Vaters auf, aber selbst der angesehene Prediger konnte sie nicht dazu bewegen, mit dem Polizisten zu sprechen. Darauf sah Bernardi keine andere Möglichkeit mehr, als sich einen Durchsuchungsbeschluss ausstellen zu lassen. Als Begründung dafür führte er Ramiros Aussage an, dass sich im Haus von Saras Eltern möglicherweise Beweise befanden, mit deren Hilfe einem Tatverdächtigen ein Mord angelastet werden konnte.
Zusammen mit einem Gerichtsschreiber und dem Sheriff, der den Durchsuchungsbeschluss vollstreckte, erschienen Bernardi, Samuel und ein amtlicher Dolmetscher vor dem Haus der Obregons in der Army Street, das sich nicht weit von der katholischen Kirche befand, in der Alejandro Galo predigte. Es war ein kleiner, heruntergekommener Bau, der hinter einem größeren, kaum weniger schäbigen Haus stand. Samuel hatte den Eindruck, dass der Hausbesitzer Miete kassierte und darauf spekulierte, dass mit der Zeit der Wert des Grundstücks stieg. Die Häuser zu renovieren hätte sich nicht gelohnt, da in einem Viertel wie diesem ohnehin keine höheren Mieten zu erzielen gewesen wären.
Samuel stand mit den anderen auf der baufälligen Veranda und taxierte die etwas über vierzigjährige Frau, die ihnen öffnete. Sie hatte möglicherweise einmal ganz gut ausgesehen, aber inzwischen hatte sie einiges an Gewicht zugelegt; ihr Gesicht war aufgedunsen, ihr ungekämmtes Haar grau und stumpf. Sie hatte eine mit roten und grünen Flicken übersäte weiße Schürze umgebunden. Aus der Küche im hinteren Teil des Hauses drang der Geruch typisch mexikanischer Gewürze wie Kreuzkümmel, Chipotle-Jalapeños und Oregano nach draußen. Aus einem Radio erklang Ranchera-Musik. Der Dolmetscher stellte Saras Mutter Samuel und Lieutenant Bernardi vor, aber um
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