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Missing Link

Missing Link

Titel: Missing Link Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walt Becker
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Gefühl gehabt, dass man sie beobachtete. Sporadisch ließ er seinen Blick entlang der hohen Bäume gleiten, deren Stämme unter den Würgegriffen der Lianen protestierten, aber er stellte nichts Verdächtiges fest.
    Samantha setzte sich mit dem Rücken an eine der Kisten. »Sieh mal dort, Jack«, sagte sie, »in dreiviertel Höhe auf dem Baum. Gleich unter dem ganzen Moos.«
    Im oberen Bereich der Baumkrone lag bewegungslos ein dunkler, haariger Körper. Jacks Augen brauchten eine Zeit lang, um zwischen der Figur und dem Schatten unterscheiden zu können, doch schließlich entdeckte er einen großen Affen. Und nicht nur einen - es war ein halbes Dutzend, und alle beäugten sie den kuriosen Metallvogel und die Tiere, die ihm irgendwelche Sachen aus den Gedärmen zogen.
    »Was die wohl über uns denken?«, fragte Jack.
    »Dass ihre entfernten Verwandten total durchgeknallt sind.«
    Jack kicherte. Wenn Samantha ihn nicht zur Raserei gebracht hatte, hatte sie ihm immer ein gutes Gefühl vermittelt. Er hatte mit ihr eine Verbindung, die anders war als die anderen, eine intime, sexuelle, manchmal leidenschaftliche Verbindung, aufgelockert durch die Sicherheit einer tiefen Freundschaft. Einen Moment lang entspannte er sich. Gerne hätte er die Flasche Whisky gehabt, aber Ricardo hatte sie beschlagnahmt - doch nicht etwa, um selbst davon zu trinken. Er hatte sich stattdessen mit Riechsalz zum Leben erweckt und in einer selbstlosen Geste François die Flasche angeboten, damit dieser ein paar Schlucke zur Beruhigung seiner Nerven und Unterstützung der lokalen Betäubung nehmen konnte. Die war nötig, weil sich Ricardo an François’ furchtbar entstellten Fingern zu schaffen machen wollte. Dieser schwieg, als Ricardo den tiefen Riss in seinem Arm nähte, doch sobald Ricardo anfing die gebrochenen Knochen zu richten, stellten François’ Schreie eine neuerliche Störung für den Dschungel dar.
    Am späten Nachmittag hatte die Hitze des Tages von der Gruppe ihren Tribut gefordert. Die dicke Luft legte sich als feuchte Schicht auf ihre Körper. Jack hatte bereits zwei Liter Wasser getrunken, während er über die möglichen Faktoren nachdachte, die beim Wiederfinden der Position des Tempeltors in Betracht gezogen werden müssten. Samantha hatte einige Mühe bei seinem Schnellkurs in Erdpräzession und
    Astronomie. Sie verstand zwar, dass das Sonnentor ein Schattenmarkierer sein und auf etwas Verborgenes hinweisen könnte, doch die physikalischen Hintergründe waren ihr zu kompliziert. Bald merkte Jack, dass er die Aufgabe allein zu bewältigen hatte. Ihm war, als könnte er Wasser aus der Luft wringen; sein Körper konnte keinen einzigen Schweißtropfen aussondern, trotz der zwei Liter, die er getrunken hatte. Schließlich ließ Jack Samantha allein zurück, um einen Platz zum Austreten zu suchen.
    Der Wald weckte seine Neugierde, und wie in einer Botanik Ausstellung ging er immer weiter. Seine Augen folgten verschiedenen Klängen aus dem riesigen Angebot von Lebewesen, die diesen Ort ihre Heimat nannten. Alle Arten von Insekten sah er, meistens große, verschwenderisch gefärbte, nicht das kleine Ungeziefer, das es in der Stadt gab. Der Dschungelboden war gesprenkelt mit saftigem grünem Farn und leuchtend gelben Blumen. Flüchtig bemerkte er eine Anakonda, die ihren Kopf von einem der tief hängenden Zweige baumeln ließ und ihn mit stumpfen bernsteinfarbenen Augen ansah.
    Nie zuvor war Jack so tief in den selvas gewesen, wie die Einheimischen den Regenwald nennen. Als er sich an riesigen, von Lianen überwucherten Gummibäumen vorbeischlängelte und durch schattige Bereiche marschierte, wo die hohen Baumkronen das Sonnenlicht verdunkelten, merkte er, welche Vielfalt Bolivien auf solch kleinem Gebiet bot. Tiahuanaco war nur ein paar hundert Meilen entfernt, doch der Weg dorthin schien eine Reise zu einem anderen Planeten zu sein. Etwa zwanzig Prozent von Bolivien sind unfruchtbar, über vierzig Prozent des Landes bestehen aus Regenwald, während man andere Teile praktisch als arktisch bezeichnen könnte. Bolivien hat eine Fläche von mehr als einer Million Quadratkilometern und wird durch zwei parallele Gebirgsketten der Anden, auch cordilleras genannt, in drei ökologische Zonen gegliedert.
    Das Tiefland im Osten umfasst den tropischen Regenwald, in dem Jack sich gerade befand.
    Die Sub-Anden-Region wird aus den schwach bis üppig bewachsenen Tälern, den yungas, gebildet, wo der zur Gewinnung von Opiaten angepflanzte Mohn

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