Mission Ares
Vernichtungstest.
Dienstag, 10. August 1982
Lyndon B. Johnson-Raumfahrtzentrum, Houston
»Sie werden mich also nicht fliegen lassen.«
Joe Muldoon lehnte sich auf dem Bürostuhl zurück, wobei
dieser unter seinem Gewicht knarrte. Ein leerer Pappbecher stand auf dem Schreibtisch, der inmitten des hochwertigen Briefpapiers und der ledernen Schreibunterlage deplaziert wirkte. Nun griff er sich den Becher und zerdrückte ihn in einer schnellen Bewegung. »Sie sehen das falsch, Natalie. Deshalb möchte ich es Ihnen auch persönlich erklären, ehe Sie es hintenrum erfahren…«
»Ich weiß das zu schätzen. Aber Sie lassen mich trotzdem nicht fliegen.«
»Sie sind nicht die einzige am JSC, die eine Enttäuschung verkraften muß. Ich habe es Ihnen doch schon gesagt: weil wir die verdammte Saturn VB verloren haben und weil man uns den Etat noch mehr gekürzt hat – verdammt, Natalie, dafür, daß das Land schon seit einem Jahr in der Rezession steckt, kann ich wohl nichts –, müssen wir das Programm straffen.
Und wir müssen die Frist für den Marsflug einhalten. Die Besatzung der ersten E-Klasse-Mission wird nun eine Mission fliegen, die wir als D-Plus bezeichnen und in der die Ziele der ursprünglichen D-und E-Klasse-Missionen gebündelt werden.
Und…«
»Also hat die DMission, mein Weltraum-Dauertest, sich
erledigt. Joe, ich-weiß besser über den Mars Bescheid als jeder andere im Astronauten-Büro. Und trotzdem lassen Sie mich nicht fliegen.«
Muldoon riß sich sichtlich zusammen. »Natalie, Sie müssen mir glauben. Das ist nichts Persönliches. Zumal ich glaube, daß es kein großer Verlust für Sie ist. Gerade weil Sie so viel wissen, werden Sie uns hier unten viel mehr nützen, als wenn Sie im niedrigen Erdorbit in einer Blechbüchse rumhängen und zusehen würden, wie der Lack verblaßt. Ich brauche Sie hier, Natalie, mit Ihrer Expertise über den Mars. Damit wir nicht vergessen, weshalb wir überhaupt dorthin fliegen.«
Sie ließ sich das durch den Kopf gehen und versuchte, den Zorn zu unterdrücken. »In Ordnung. Ich habe wohl keine andere Wahl. Aber ich werde weiterhin trainieren, auch im Simulator, und ich werde jede Gelegenheit nutzen, um mehr Flugerfahrung zu sammeln. Und wenn Sie mir nun sagen, ich soll das sein lassen, dann werde ich auf Nimmerwiedersehen durch diese Tür verschwinden; Mars-Experte hin oder her.«
Er hob die Hände. »Genug! Tun Sie, was Sie nicht lassen
können.«
Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, als ein neuer
Verdacht sie beschlich. »Gleichberechtigung«, sagte sie.
»Hä?« Er wirkte verwirrt.
»Das Gesetz für die Gleichberechtigung von Mann und Frau.
Es ist im Juni verabschiedet worden.« Sie spürte, wie eine irrationale Wut in ihr aufstieg. »Das politische Klima hat sich geändert. Ist das der Grund, weshalb Sie glauben, auf mir rumhacken zu können?«
»Verdammt, Natalie, damit hat das nichts zu tun!« Sichtlich ungehalten beugte er sich vor. »Wissen Sie, Ihnen und den anderen Frauen wäre viel mehr gedient, wenn sie nicht ständig mit solchen Neurosen kokettieren würden.«
Sie funkelte ihn an. Muldoon saß in soldatischer Haltung auf dem Stuhl und musterte sie mit einem nachdenklichen Ausdruck in den blauen Augen. Sie erkannte, daß er es
wirklich gut mit ihr meinte und daß er von der Richtigkeit seiner Aussagen überzeugt war.
Sie traute sich nicht, noch etwas zu sagen.
Später wollte sie sich in dem schäbigen Apartment, das sie in Timber Cove zur Miete bewohnte, betrinken, was ihr aber nicht gelang.
Ihr Leben ging den Bach runter. Mit vierunddreißig war sie schon ziemlich alt für eine Wissenschaftlerin, die sich mit Feldforschungen befaßte, und ihre akademische Laufbahn war wohl auch nicht mehr zu retten. Das Engagement im Raumfahrtprogramm – die Zeit, die sie in Simulationen und Überlebenstraining investiert hatte –, war zu Lasten der Forschung gegangen, und sie wußte auch, daß sie mit den Veröffentlichungen, deren Qualität und Quantität von Jahr zu Jahr abnahmen, bei einer Rückkehr an die Universität keinen Blumentopf gewinnen würde.
Und wofür hatte sie das alles auf sich genommen? Sie hatte die einzige Chance – so vage sie auch gewesen war – verloren, echte Weltraum-Erfahrung zu sammeln.
Der Mars war weiter entfernt als je zuvor.
Es sah so aus, als ob sie es verbockt hätte, als ob sie in ihrem Leben einen Fehler nach dem andern gemacht hätte.
Mike Conlig war längst Geschichte. Und sie war noch immer
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