Mission Ares
wissenschaftlichen Wert stark beeinträchtigen. »Komm schon, Jorge.«
»Das ist mein Ernst. Ich bin mir fast sicher, daß ich es tun werde.« Mit düsterem Gesichtsausdruck ließ er den Blick über den ›Sandkasten‹ schweifen. »Der heutige Tag hat mich in diesem Entschluß nur noch bestärkt. Und wenn du noch einen Rest von Integrität besitzt, Natalie, solltest du auch aufhören.«
»Jorge, bist du verrückt? Es wird ein Geologe zum Mars
fliegen. Was willst du denn noch, um Gottes willen?«
»Ich bin durchaus nicht verrückt. Du wirst bestenfalls eine Technikerin sein, Natalie. Natalie, Ares ist ein großartiges System – aber nur in operativer Hinsicht. In wissenschaftlicher Hinsicht handelt es sich lediglich um einen Aufguß von Apollo. Schau dir das an.« Er wies mit ausladender Geste auf das Simulationsgelände. »Mit diesem Gerödel wollt ihr allen Ernstes den Mars erforschen. Mit Flaschenzügen. Mit dem MET. Mit diesem verdammten Strand-Buggy, der nur eine
Zuladung von hundert Pfund hat. Und dann noch die Fummelei mit den Handschuhen und dieser albernen Griffstange.« Seine Stimme war angespannt, und das Gesicht rötete sich; sie erkannte, daß er wirklich zornig war. »Natalie, du mußt dich nur umsehen, um zu erkennen, wo der Schwerpunkt bei den Investitionen liegt. Wußtest du schon, daß man mehr Geld in die Entwicklung eines robusten Gewebes für das Mars-Sternenbanner gesteckt hat als in mein ganzes SEP?«
Operativ. Romero hatte das Wort ausgesprochen, als sei es etwas Obszönes. Früher hätte sie das auch so gesehen, sagte York sich. Doch vielleicht hatte sie nun einen besseren Überblick. Ein Raumfahrtprogramm, noch dazu eine so heikle Mission wie der Marsflug der Ares, mußte sowohl operativen als auch wissenschaftlichen Erfordernissen gerecht werden.
Zumal das eine ohne das andere nicht zu haben war.
Sie versuchte, Romero das begreiflich zu machen.
»Geschenkt, Natalie. Ich habe mir das selbst auch schon
hundertmal gesagt, und es hat mich nicht überzeugt. Und was dich betrifft…« Er zögerte.
»Ja? Sag es, Jorge.«
»Ich glaube, du hast dich verkauft. Ich habe deine Bewerbung bei der NASA unterstützt. Verdammt, ich habe dich hier reingebracht. Ich hoffte, du würdest etwas ändern. Aber du hast dich angepaßt. Nun haben wir eine Neuauflage von Apollo mit den gleichen verdammten Fehlern. Nur daß es diesmal – zumindest zum Teil – deine Schuld ist. Und meine. Es tut mir leid.«
Er stieg vom Rover und ging davon.
York zitterte im Druckanzug wegen der ungestümen Attacke.
Januar 1985
Lyndon B. Johnson-Raumfahrtzentrum, Houston
Zusätzlich zur Arbeitsbelastung, die stetig zunahm, je näher der Termin des Starts rückte, wurde von der Besatzung die Wahrnehmung von PR-Terminen erwartet. Die Astronauten nannten das ›Theater spielen‹. Für gewöhnlich forderte der Vorsitzende einer Handelskammer einen Vorzeige-Astronauten an, der an Empfängen teilnahm, Hände schüttelte, für Fotos posierte und für gute Stimmung sorgte.
York war völlig ungeeignet für solche Aktionen und wurde deshalb hinter den Kulissen eingesetzt, wobei sie diversen NASA-Zentren und Firmen der Luft-und Raumfahrtindustrie Besuche abstattete, um die Beziehungen zu pflegen. Gershon verbrachte derweil viel Zeit in Newport, wo die Columbia-Ingenieure noch immer daran arbeiteten, die während der D1-Mission und anderen Tests aufgetretenen Mängel am MEM zu beheben und das MarsRaumschiff endlich fertigzustellen.
Dann wurde York nach Marshall geschickt.
Sie wurde im Sheraton Hotel in Huntsville einquartiert, einer Stadt, die im Baedeker als ›Raketen-Stadt‹ firmierte. Am nächsten Tag unternahmen zwei jungdynamische Ingenieure mit ihr eine Führung durch Marshall. Marshall war aus dem Ballistischen Raketen-Kommando der Armee ausgegliedert und der NASA unterstellt worden, doch der militärische
Ursprung war noch erkennbar. Man zeigte ihr einen
spektakulären Raketen-Garten im Weltraumorientierungs—
Zentrum und einen großen Prüfstand, der bei der Entwicklung der Saturn F-1-Triebwerke verwendet worden war. Die Saturn-Stufen wurden hier montiert und dann auf Wasserstraßen nach Cape Canaveral transportiert: auf Lastkähnen den Tennessee River hinab, anschließend über den Ohio und Mississippi in den Golf von Mexiko und zuletzt an der Küste von Florida entlang, wo sie im Hafen von Cape Canaveral angelandet wurden.
Sie verbrachte fast den ganzen Tag in von Brauns altem
Konferenzraum, in der
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