Mission Ares
dem Wagenfenster ragte. Die Landschaft um ihn herum schien sich auszudehnen und wieder die riesigen Dimensionen der Kindheit einzunehmen. Die Schreie der Seemöwen hallten in der Luft.
Gegen Mittag erreichte er Hampton: seine direkt an der Spitze der Halbinsel gelegene Heimatstadt – im Grunde nicht mehr als ein Fischerdorf. Er fuhr Straßen entlang, die ihm so vertraut waren, daß er fast glaubte, seine Erinnerungen hätten die Welt von damals wiederauferstehen lassen. Er sah dieselben heruntergekommenen Anleger, die im Brackwasser dümpelnden Kähne der Krabbenfischer, die Möwen: all die
Symbole der Kindheit waren noch da. Es war, als ob zwölf Jahre von ihm abfielen und mit ihnen all seine beruflichen und privaten Erfolge – Mary und die Kinder, die Akademie, der Dienst in der Luftwaffe – und ihn wieder auf den Status eines Zehnjährigen reduzierten.
Menschen waren zum Mond geflogen. Und die Denker des
ein paar Kilometer weiter nördlich gelegenen
Forschungszentrums in Langley hatten dabei eine
Schlüsselrolle gespielt, Danas Vater Gregory eingeschlossen.
Doch an Hampton schien das alles spurlos vorübergegangen zu sein.
Seine Eltern traten auf die Veranda, um ihn zu begrüßen. Die Fenster waren blitzblank, die Veranda war gefegt, und die Glöckchen, die der Wind immer zum Klingen brachte, blitzten unter dem strahlend blauen Himmel. Doch das kleine Holzhaus wirkte irgendwie vernachlässigt, und überhaupt hatte die Stadt schon bessere Zeiten gesehen. Dana spürte, daß Klaustrophobie ihn wie ein alter, schlecht sitzender Mantel einengte.
Seine Mutter, Sylvia, war fülliger und älter geworden, und ihr Gesicht wirkte müder und eingefallener, als er es in Erinnerung hatte. Doch nun erschien ein so strahlendes Lächeln auf diesem Gesicht, daß Dana ein unbestimmtes Gefühl der Schuld verspürte. Und dann kam sein Vater, Gregory Dana, in einer alten Strickjacke und mit nachlässig gebundener Krawatte und wischte sich die Hände an einem ölverschmierten Lappen ab.
Gregorys Augen waren hinter den staubigen Brillengläsern kaum zu sehen – John Lennon-Brille, sagte Dana sich und verkniff sich ein Grinsen.
Gregory schüttelte Dana die Hand. »Und wie kommt der
große Astronaut voran?«
Gregory hatte diese Frage gestellt, solange Dana sich
erinnerte. Der Unterschied war nur, daß es nun so aussah, als ob die Frage bald wörtlich zu verstehen sei.
Das Mittagessen ging recht steif vonstatten. Seine Eltern hatten ihre Zuneigung ihm gegenüber schon immer sparsam dosiert.
Also erzählte er von Mary, den Kindern und wie sehr sie sich über die Geschenke gefreut hätten, die sie jüngst zum Geburtstag bekommen hatten: den Modellbausatz einer Saturn V-Rakete, der für den zweijährigen Jake noch viel zu
kompliziert war, und den selbstgestrickten Pulli für Maria.
Nach dem Essen steckte Gregory Dana den Tabaksbeutel in
die Tasche seiner verschlissenen grauen Strickjacke. »Na, Jimmy, wollen wir hinten in der Werkstatt ein bißchen
fachsimpeln?«
Danas Mutter nickte ihm zu. Schon in Ordnung, er sollte
ruhig gehen.
»Klar, Paps.«
Bei der sogenannten Werkstatt handelte es sich im Grunde um eine leerstehende Kammer an der Rückseite des Hauses.
Sie war angefüllt mit Büchern, Werkzeugen, halbfertigen
Modellen und einer Tafel, auf der irgendwelche unleserlichen Gleichungen standen.
Dana räumte ein paar Skizzen von einem Hocker. Er war
bereits mit einer Patina aus feinem Staub überzogen. Sämtliche verfügbaren Oberflächen waren mit Zetteln, angekauten Bleistiften, Tabakkrümeln und unvollendeten Modellen belegt.
Gregory hatte Sylvia untersagt, hier sauberzumachen. Als Dana schon größer war, hatte er zwar versucht, das Chaos zu begrenzen, doch seit er das Elternhaus verlassen hatte, war der Verschlag wohl kein einziges Mal gereinigt worden.
Sein Vater wuselte nun in der Werkstatt herum, klaubte
diverse Teile aus dem Durcheinander und sortierte sie penibel.
Dabei schmauchte Gregory zufrieden ein Pfeifchen, und der aromatische Tabakduft, der den Raum erfüllte, weckte
Erinnerungen in Dana.
Sonntagnachmittags war Gregory oft mit Dana auf die
Wiesen neben dem Flugfeld von Langley hinausgegangen, wo sie sich mit anderen Ingenieuren von Langley trafen und
Flugzeug-und Raketenmodelle fliegen ließen – wobei es sich jedoch nicht um vorgefertigte Modelle gehandelt hatte, sondern um Eigenbauten, die in solchen Verschlägen wie dem von Gregory gebastelt wurden. Es war das Höchste für Dana
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