Mission Ares
Gedanken galten dieser zerbrechlichen, kleinen Welt in vierhunderttausend Kilometern Entfernung, auf der noch immer drei Landekapseln parkten, die von Fußabdrücken
umgeben waren. Doch Seger interessierte sich weder für die Fußabdrücke noch für die Flaggen, nicht einmal für den wissenschaftlichen Aspekt. Auch nicht dafür, daß sie vor den Russen dort gewesen waren. Für ihn zählte nur, daß Apollo als Beleg für die Fähigkeit der Menschheit diente, im Weltraum zu leben und zu arbeiten.
Der Mond war nicht annähernd so exotisch gewesen, wie
einige Leute vermutet hatten. Manche hatten prophezeit, die Astronauten würden in kilometertiefem Staub versinken. Oder daß es sich bei den Mondbergen um fragile Gebilde in der Art großer grauer Baisers handeln würde, die sich unter der Berührung der Astronauten in Staubwolken auflösten. Oder daß der Mondstaub sich entzünden oder explodieren würde, wenn die Astronauten ihn in die Landekapsel einschleppten.
Oder daß die Astronauten von fürchterlichen Krankheiten
befallen würden…
Letztlich hatten doch die nüchternen Ingenieure recht
behalten, die den Mond in die Nähe von Arizona gerückt – und die Landebeine der Mondlandekapsel entsprechend konstruiert – hatten. Das muß ich mir immer vor Augen halten, sagte er sich. Der Mars ist auch wie Arizona.
Für Seger war das eine faszinierende Vorstellung – als ob Erde, Mond und Mars eine physische Einheit bildeten, wobei diese Einheit durch die Errungenschaften der Amerikaner verwirklicht wurde.
Gemessen schritt er die Stufen von der Konsole des Leiters des Kontrollzentrums hinab und schloß die Tür hinter sich.
Montag, 16. August 1971
George C. Marshall-Raumfahrtzentrum,
Huntsville, Alabama
Gregory Dana erschien erst, nachdem die Sitzung bereits
begonnen hatte. Er hatte sich die Folien und Berichte unter den Arm geklemmt. Als er im Konferenzraum eintraf – der sich direkt neben von Brauns Büro befand –, war der Saal schon voll, und er mußte sich hinten einen Platz suchen.
Der Raum war im elften Stock des Marshall-Hauptquartiers gelegen, das im Volksmund als ›von Braun-Hilton‹ firmierte.
Jeder, der Rang und Namen hatte, schien hier vertreten zu sein: Führungskräfte aus Marshall und aus Houston, ein paar hochrangige Abgesandte des NASA-Hauptquartiers in
Washington und viele Vertreter der Herstellerfirmen, deren Studien heute präsentiert werden sollten.
An der Stirnseite des Raums sprach Bert Seger, der Leiter des aufstrebenden Marsprogramm-Büros, ein paar einleitende Worte. Er war so weit entfernt, daß Dana kaum sein Gesicht erkannte.
Sie hatten sich alle hier eingefunden, um der Abschluß-
Präsentation der Phase A-Studien des Mars-Missions-Modus beizuwohnen. Bei dieser Zusammenkunft ging es laut Seger darum, sich auf einen Modus für das Entwicklungsprogramm zu verständigen. Diese Gruppe konkurrierte nämlich mit der Planungsgruppe für die wiederverwendbare Raumfähre um finanzielle Mittel und öffentliche Akzeptanz. Eine ähnliche Konferenz hatte kürzlich in Williamsburg stattgefunden, wo einige konzeptionelle Aspekte dieses Programms diskutiert worden waren.
In seinem schnellen Bronx-Dialekt stimmte Seger die
Anwesenden ein: er wies auf die Notwendigkeit einer offenen Diskussion hin, forderte die Zuhörer zur Mitarbeit auf und appellierte an die Bereitschaft aller, diesen Raum erst dann zu verlassen, wenn man sich auf welchen Modus auch immer verständigt hatte. Dana erspähte ein kleines Kruzifix an Segers Revers, unter einer verwelkten rosa Nelke.
Dana war sicher, daß jeder die Weiterungen von Segers
Ausführungen begriffen hatte. Der Kongreß hatte zwar die beantragten Mittel für das NASA-Budget für 1972 bewilligt, doch im Haushaltsjahr 1973 würden erstmals die hohen Ausgaben für das Programm – welches auch immer –erscheinen. Zumal Präsident Nixon noch immer nicht über die Zukunft des Raumfahrtprogramms entschieden hatte.
Gerüchten zufolge plante er gar die Einstellung des bemannten Raumflugs und wollte die freigewordenen Mittel für die Förderung eines Quantensprungs bei den ›bodenständigen‹
Wissenschaften nutzen, was eher mit dem Zeitgeist konform ging.
Inzwischen war es wegen des Mars-Modus zwischen den
NASA-Zentren Houston und Marshall zu einem offenen
Konflikt gekommen.
Das konnte die NASA nun am allerwenigsten gebrauchen.
Dana wußte, daß Seger bereits Schadensbegrenzung betrieb, indem er informelle Kontakte und Gespräche
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